Bei dem Gedanken an den in Süditalien liegenden Landstrich Salento bleibt man an der Geschichte des befreienden Tanzes Taranta hängen. Teresa De Sio greift in ihrem Roman Lass den Teufel tanzen dieses alte apulische Ritual auf und verbindet es mit der tragischen Geschichte des Mädchens Archina.
Sie kommen aus Procida. Der Witwer Nunzio Solimente und seine beiden Töchter. Vor 12 Jahren sind sie nach Apulien in das Dorf Mangiamuso gekommen. Der Vater hat schnell Arbeit auf dem Familienbesitz von Angelo Santo gefunden. Und mit den Jahren freunden sich diese beiden Männer irgendwie an. Und niemand weiß, was sie eigentlich verbindet. Der eine ist primitiv und aus den einfachsten Verhältnissen, der andere ist reich, unbarmherzig, hässlich und tyrannisch. Angelo hat im Dorf eine heimliche Affäre mit Virginia, die ein Opfer seiner psychischen Gewalt ist. Als sie schwanger wird, nimmt er ihr gegen ihren Willen bei der Geburt ihr Kind weg. Sie stürzt sich fortan in den Alkohol und verwahrlost immer mehr.
Wie in jedem Dorf gibt es auch in Mangiamuso reichlich Tratsch und Gerüchte. Die Grecos sind ein beliebtes Gesprächsthema. Denn Narduccio ist um etliches jünger als seine Frau. Dazu noch ein Habenichts, der reich eingeheiratet hat. Das Ehepaar beschäftigt Nunzio Solimentes ältere Tochter als Dienstmagd. Archina, Nunzios Jüngste, begleitet ihre Schwester sehr oft. Die kinderlosen Grecos kümmern sich um Archina und besonders Narduccio verbringt sehr viel Zeit mit dem wissbegierigen und aufgeschlossenen Mädchen.
Von einem Tag auf den anderen verhält sich Archina plötzlich sehr sonderbar. Ihre Leistungen in der Schule lassen abrupt nach, sie verstummt und weicht menschlichen Berührungen aus, ist apathisch und äußerlich zeigt sie ein jämmerliches Bild. Sie versteckt alles Weibliche an ihr und verhüllt es in einem Sackkleid. Nicht mal mehr sie selbst kann ihren Körper berühren. Sie wäscht sich nicht mehr, ist verdreckt und stinkt. Die Dorfbewohner sehen sie jetzt immer öfter mit dem Pulver des giftigen Stechapfels herumhantieren, beobachten sie bei wilden gespenstischen Beschwörungszeremonien.
Es ist nicht mehr die Zeit der Hexenverbrennung aber hier in Apulien glauben die Menschen auch in den 1960er Jahren noch an den Teufel. Und nur er kann von Archina Besitz ergriffen haben, in dem er sie in Gestalt der Tarantel gebissen hat. Nur der Tanz kann sie von dem Gift und dem Bösen in ihr befreien. Der uralte Brauch lebt so wieder auf. Die Dörfler versammeln sich, die Musiker spielen auf und Archina tanzt entfesselt und rhythmisch in wilder wahnhafter Ekstase drei Tage zur Musik, bis sie erschöpft zusammenbricht. Das uralte mystische Ritual hat sie dennoch nicht aus ihrer inneren Hölle befreit.
Es ist das Jahr 1956, die Dorfbewohner feiern den letzten Tag des Karnevals. In den Straßen herrscht eine ausgelassene Stimmung. Bunte Kostüme wohin man blickt, beschwingte ungestüme Tänze im Rausch der Musik. Mittendrin Nunzio Solimente und seine Tochter Archina. Sie trägt ihr weißes, mittlerweile zu kleines, Kommunionkleid. Nunzio zerrt sie gnadenlos mit sich zum Gutsbesitz der Santos. Gekleidet im Weiß der Unschuld verliert sie wieder und wieder durch den Vater und Angelo ihre kindliche Reinheit, fallen die beiden Männer mitleidlos und ohne Skrupel infernalisch über Archina her. Hinter der Fassade beobachtet Narduccio Greco das Verbrechen. Am nächsten Tag wird Narduccio tot aufgefunden, ermordet, vergiftet. Die Dörfler finden schnell einen Schuldigen. Archina, die Giftmischerin. Um dem Gerede zu entgehen, muss sie zurück nach Procida. Die Dorfbewohner schweigen, nur Archinas tief verletzte Seele nicht. Erst 1973 rächt sie sich für ihre innere Tötung.
Geschickt lässt Teresa De Sio den letzten Tag des Karnevals zum Fluchtpunkt des Geschehens werden. Einem Fluchtpunkt, wo der teufelaustreibende wilde Rhythmus der Taranta mit dem gewalttätigen Rhythmus des Missbrauchs verschmilz, wo der Schleier von Archinas Geheimnis gelüftet wird, wo sichtbar wird, dass der Teufel nicht in ihr, sondern in dem Vater steckt.
Teresa de Sio, Lass den Teufel tanzen, Roman, Originaltitel: Metti il diavolo a ballare, Originalverlag: Einaudi, Aus dem Italienischen von Judith Schwaab, Deutsche Erstausgabe, Gebundenes Buch, Pappband mit Schutzumschlag, 256 Seiten, 2011 Verlag: Edition Elke Heidenreich bei C. Bertelsmann, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, ISBN: 978-3-570-58025-7, € 19,95 [D] | € 20,60 [A] | CHF 30,90* (empf. VK-Preis) empfohlener Verkaufspreis
© Soraya Levin