Mansour sensibilisiert für das Problem einer sich zunehmenden religiös-radikalisierenden Generation, die ein islamistisches Gegenmodell zu unserer Gesellschaft entwickelt und nachhaltig unsere Demokratie bedroht.

Eine ganz normale Jugend? Nein, denn der radikale Islam hält Einzug in die jetzige Generation. Er nennt sie die „Generation Allah“, die nicht nur ihr Outfit tauscht, sondern auch unsere freiheitlich-demokratischen Werte negiert. Der in Berlin lebende Psychologe, Islamkenner und ehemalige Islamist Ahmad Mansour, der sich selbst einen "Gedankenpflanzer ... im Garten der Aufklärung" nennt, zeichnet in seinem Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“ anhand von Fallbeispielen von deutschen Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ohne die Wege in die Radikalisierung auf.

Eine Ursache, die Ahmad Mansour ausmacht, sind die Strukturmerkmale tradierter Sozialmilieus. Das Großwerden in patriarchalen Strukturen produziert nicht nur Ablehnungen gegenüber den modernen Ausrichtungen der Individualisierung und Pluralisierung, sondern verhindert sie auch. Unantastbare Gesetzmäßigkeiten und Wahrheiten geben keinen Raum für einen gesellschaftlichen Diskurs. An die Stelle der Akzeptanz von Meinungsvielfalt und vielfältigen Lebensformen tritt der unabdingbare und nicht infrage stellende Gehorsam.

Mansour führt seine eigene Kindheit als Beispiel an. Aufgewachsen in der überwiegend von Muslimen bewohnten israelischen Kleinstadt Tira ist er durch die islamische Gesellschaftsordnung geprägt worden. Autoritäre Erziehungsmuster mit Gewalt und Angst als Zuchtmittel haben keinen Raum für eine kritische Reflexion und Widerspruch gelassen. Daneben die unreflektierte Übernahme von Antisemitismus und religiöser Wahrheiten. Die religiöse Ideologie der Muslimbrüder hat einfache Antworten und Orientierung gegeben und hat das Selbstwertgefühl gestärkt. Die neue Gemeinschaft hat nur die Wahl zwischen dem Paradies und der Hölle zugelassen. Die versteinerten Vorurteile gegenüber Juden und allem Westlichen haben eine einfache Einteilung der Welt in Gut und Böse vorgenommen.

Mansour sieht die Wahrheit des autoritären Vaters abgelöst durch die Wahrheit des Wortes von Allah und seiner Vertreter, den Imanen. Beim Übergang von der traditionellen Gesellschaft in die Moderne verändert sich die Vaterfigur und verliert an Respekt. Der neue Vater ist der Iman und Allah. Die Religion und das Muslimisch sein wirkt nun identitätsstiftend. Denn während der Pubertät setzen sich junge Menschen mit ihren bisherigen und zukünftigen Lebensentwürfen auseinander und versuchen sich, zu positionieren. Milieus mit Migrationshintergrund fühlen sich oft abgewertet und ausgegrenzt. Die Distanz zum Herkunftsmilieu und die Distanz zum neuen Milieu führt zu Identitätskrisen, in der nach Zugehörigkeit gesucht wird. Die Umma, die islamische Gemeinschaft der Gläubigen, stellt diesen Identitätsverlust wieder her. Der einzelne wird Teil dieser Gemeinschaft. Nach Mansour stärken die salafistischen Gruppen das Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsame Aktivitäten und durch die Konstruktion von gemeinsamen Feindbildern, die die Umma gefährden. Vom Nahostkonflikt über die westliche Sündendekadenz, vom Juden bis zu den Ungläubigen. Sie alle sind eine Bedrohung der Umma, die für sich den einzig wahren Anspruch auf die Religion, den Islam, erhebt und damit soziokulturell ein Gegenmodell zur Demokratie errichtet. Mansour verweist darauf, dass in der neuen radikalisierten Welt kein Platz mehr für alte Verhaltens- und Denkmuster ist. Die religiöse Identität zeigt sich, wenn die Kinder plötzlich nur noch halal essen wollen, wenn es plötzlich wichtig ist, was für Muslime erlaubt und verboten ist. Haram bestimmt den sozialen Umgang. Die Hand der Frau ist plötzlich unrein, kein Alkohol und keine Geschenke zum Geburtstag. Symbolisch und nach außen sichtbar wechselt die Kleidung und das Gesicht trägt Bart. Kollisionen mit den Eltern sind an der Tagesordnung. Die sich radikalisierenden Jugendlichen versuchen, ihre Eltern auf ihren Glaubensweg mitzunehmen. Mansour sagt, dass insbesondere in tradierten und religiösen Elternhäusern diese Wandlung zu spät erkannt wird. Und so schließen sich immer mehr Jugendliche dem IS an. Laut Mansour liegen die amtlichen Zahlen bei 700 Jugendlichen. Er selbst schätzt die Zahl jedoch weitaus höher ein und spricht von 1500 bis 1800 in den Krieg gezogenen Jugendlichen.

Die Weitergabe von kulturellen Setzungen erfolgt nicht nur durch die von Mansour bezeichnete „Angstpädagogik“, sondern auch durch die Opferideologie, das Rollenverständnis und den Judenhass.
Einzelne Diskriminierungserfahrungen liefern den Sprit für die sehr häufig über das Internet transportierte Propaganda, die ein Bedrohungs- und Existenzszenario für die gesamte muslimische Commutiy konstruiert. Auf diese Weise werden westliche und jüdische Feindbilder determiniert, die auf Verschwörungstheorien, Vorurteilen und Stereotypen aufbauen. Auf diese westlichen und jüdischen Anderen projiziert sich eine Antistimmung, die in Hass übergeht. In seiner Auslebung schlägt dieser Hass in Gewalt um.
Mansour sagt, dass auch viele muslimische Verbände diese Opferideologie transportieren. Eine Opferideologie, die den einzelnen aus seiner Verantwortung entlässt.

Mansours Ausführung verdeutlicht die Entwicklung einer Gegenkultur zum Pluralismus, der ja gerade die Eigenverantwortung fordert.
Eine Eigenverantwortung, die Ahmad Mansour auch im Hinblick auf die Sexualität als nicht gegeben sieht. Seiner Meinung nach ist die Sexualität ein Radikalisierungskriterium. Die patriarchale Struktur setzt sexuelle Tabus und zementiert ein tradiertes Rollenverständnis. Die Frau ist hin- und hergerissen zwischen der Tradition und der Moderne, zwischen dem islamischen Paradies und der westlichen Hölle. Die von Mansour genannten Beispiele reichen vom tabuisierten Händedruck mit einer Frau, über das Verbot für Frauen von Bananenessen bis zum Eislutschen in der Öffentlichkeit, bis zur Verhüllung durch die Burka oder des Niqabs. Mansour spricht von weiblichen 30 %, die sich dieser salafistischen Richtung unterwerfen. Eine Unterwerfung, die laut Mansour als Befreiung gesehen wird, da sich nun auch der Mann unterwerfen muss und das Geschlechterverhältnis damit ausgewogen wird. Auch er darf beispielsweise keinen vorehelichen Sexualkontakt haben, auch er darf nicht schwimmen gehen. Jetzt unterwerfen sich beide, Mann und Frau, Allah. Die Frau findet jetzt ihren anerkannten Platz, da sie diese konservierten Muster an die Kinder weitergibt und diese für den Dschihad erzieht.

Die Weitergabe der konservativen Islammuster erfolgt jedoch auch über die Musik, die Jugendliche anspricht. Mansour führt als Beispiel den Rapper Haftbefehl an. „Als Kurde spricht er sich zwar öffentlich gegen den Salafismus aus, für seine Musik mobilisiert er allerdings unbewusst islamische Phantasmen, beschwört Dämonen, Sünde, den Pfad zum Paradies, zur Reinheit.“. Komplementär zur sich steigernden Radikalisierung steigert sich der Judenhass. Mansour verweist auf die arabischen Sender wie El Mana, Al Jazeera und die türkischen Sender, die das Feuer des Antisemitismus schüren. Der Nahostkonflikt dient hierbei als Alibi und Israel als antisemitische Projektionsfläche. Seitens der muslimischen Politiker und Verbände wird der Antisemitismus laut Mansour verharmlost. Auch die deutsche Politik betreibt diese Besänftigungspolitik und grenzt den Zusammenhang zwischen Antisemitismus und Islam aus. Der Autor sagt, dass es keine eindeutigen Studien zu diesem Thema gibt. So führt er an, dass die Zerstörung von Stolpersteinen statistisch unter Vandalismus erfasst wird. Mansour weist darauf hin, dass dieses „Mainstream-Islamverständnis“ den Radikalisierungsprozess begünstigt. „Das ist eine Fehleinschätzung, die uns alle teuer zu stehen kommt.“.

Anhand von Fallbeispielen zeigt er wie Jugendliche in einen sich durch unterschiedliche Faktoren dynamisierenden Prozess geraten, der dem säkular-demokratischen Gesellschaftssystem diametral gegenübersteht.
Die demokratiefeindlichen Identifikationsangebote der Salafisten richten sich wie im Buch verdeutlicht, überwiegend an die jungen Muslime, die sich oft entwurzelt und diskriminiert fühlen sowie an junge Menschen mit Ausgrenzungserfahrungen und Misserfolgserlebnissen. Sie bieten einzig wahre Handlungsorientierungen, die mit den Spielregeln des demokratischen freiheitlichen Rechtsstaats nicht vereinbar sind.

Das entscheidende im Kampf gegen diese sich kulturell entfremdende „Generation Allah“ ist nach Mansour die Prävention. Politik und Schule nimmt er als erstes in die Pflicht. Klare Wertepositionen, die für alle Mitglieder der Gesellschaft zu gelten haben, eine Abkehr von dem patriarchalen System, das Trainieren von Reflexion, Biografiearbeit und Erziehung zur Demokratie, die regelmäßige Auseinandersetzung mit aktuellen Themen in der Schule, das Schaffen von Gegenbildern des radikalen Islam im Netz, eine gezielte Familienarbeit und die bislang ausstehende „innerislamische Debatte“ sowie die Schaffung eines „Bundesbeauftragten zur Prävention und Bekämpfung ideologischer Radikalisierung“ sind notwendige Maßnahmen.

Vorbildfunktionen der Präventionsstrategien sind langfristig angelegte Projekte wie das Gleichstellungsprojekt Heroes und das Hamburger Modell „Religion für alle“, bei dem es um den Dialog und das Verständnis füreinander geht und zwar durch interreligiösen Unterricht und nicht durch trennenden.

Mansour prangert an, dass kein Platz für Projekte gegeben ist, die sich dem Thema Islamismus zuwenden. Stattdessen geht es um Themen wie Respekt, Diskriminierung, die in der Breite akzeptiert werden und keinen kritischen Diskurs der Problemwahrnehmung bedingen.

Für Mansour repräsentiert „der politische Islam den Islam in Deutschland.“. Was bedeutet es, wenn Mansour recht hat und das Religiöse politisch wirkt? Der islamische Buchstabenglaube sieht das Wort Allahs, dem sich alle unterzuordnen haben, als einzig gültig an. Unser staatliches Rechtssystem kollidiert an dieser Stelle mit dem göttlichen System der Scharia. Auch gehen im politischen Islam die demokratischen und freiheitlichen Rechte nicht vom Staat aus, sondern von Allah und von seinen Vertretern.

Diese politische Ausrichtung des Islam gehört für Mansour nicht zu seinem Islamverständnis. Und daher teilt er auch nicht die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland.“. Für Mansour gehört nur ein Islamverständnis auf der Basis unserer freiheitlich-demokratischen Grundwerte zu Deutschland. Daran schließt sich seine Forderung an, dass das gültige Islamverständnis einer Reform bedarf.

„Sie waren die Generation des Mauerfalls 1989“, hat der französische Präsident Hollande in seiner Rede zum mörderischen Attentat in Paris am 13.11.2015 gesagt. Sie sind die „Generation Allah“ sagt Ahmad Mansour und warnt mit seinem Kassandraruf vor radikal- religiösen Sozialmilieus, die unsere Demokratie gefährden.

Auch wenn Ahmad Mansour keine empirische Studie zur religiösen Radikalisierung von Jugendlichen vorlegt, ist sein Buch „Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen“ nicht nur lesenswert. Insbesondere anhand der genannten Fallbeispiele sensibilisiert Mansour für das Problem einer sich zunehmenden religiös-radikalisierenden Generation, die ein islamistisches Gegenmodell zu unserer Gesellschaft entwickelt und nachhaltig unsere Demokratie bedroht. Er zeigt auf, dass der radikale Islam für Jugendliche mit islamischer Religionszugehörigkeit und ohne einen Orientierungs- und Stabilitätsanker bietet, dem die Moderne bislang nichts entgegenstellt. Es sind die Verflechtungen von tradierten Strukturmerkmalen in den Milieus und ein falsches Islamverständnis, die demokratiefeindliche Strömungen begünstigen. Vor dem Hintergrund der zuwandernden Flüchtlinge, die weitgehend aus tradierten Sozialmilieus stammen, gewinnt das Buch für den gesellschaftlich notwendigen Diskurs der Öffnung des Islam für Reformen und Demokratie im Rahmen einer Neuinterpretation des Koran und die geforderte Präventionsarbeit an Bedeutung.

Ahmad Mansour, Generation Allah. Warum wir im Kampf gegen religiösen Extremismus umdenken müssen, Sachbuch, Hardcover, (D) 19,99 | (A) 20,60, 272 Seiten, S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2015, ISBN: 978-3-10-002446-6

© Soraya Levin