Mit dem arabischen Frühling 2011 erwacht die Revolte gegen menschenverachtende Unterdrückungssysteme in den Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens. Neben verblühten Hoffnungen auf eine Demokratisierung und Freiheit, blüht die Beständigkeit der Geschlechterasymmetrie. Es ist nicht die Sternstunde der Frauen, kein langsames Erblühen der zarten Pflanze namens Frauenrechte. Egal wie sie aussieht, die neue gesellschaftliche Architektur. Die Frau bleibt in ihrem Schatten und die Revolution ist nicht das Tor zu ihrer Freiheit. Sie bleibt weiter im Netzwerk der Religion und des Patriarchats gefangen. Sie bleibt weiter die Gehasste in dieser männerdominierten Welt.

„Warum hasst ihr uns so?“, fragt die ägyptisch-amerikanische Journalistin Mona Eltahawy und fordert „die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt“. Denn nur diese kann sie aus der „feindlichen Kultur“ befreien.

Eltahawy geht am Beispiel ihrer eigenen Lebensstationen in Saudi-Arabien und Ägypten, untermauert mit den Verhältnissen in anderen arabischen Ländern, den Ursachen dieses Hasses nach. Sie macht eine normativ gesetzte antiquiert-religiöse Sexualmoral und die festzementierten Privilegien der Männer aus. Privilegien, die die Frau züchtigen, sie unter eine männliche Vormundschaft stellen, ihre Mobilität einschränken, andere Strafmaße für sie setzen, sie unsichtbar machen, Jungfräulichkeitstests durchführen, sie genital verstümmeln, letztlich ihre Frauenrechte und damit ihre Menschenrechte außer Kraft setzen. Anhand der Genitalverstümmelung wird das tradierte Rollenverständnis sichtbar, dass sich aus der soziokulturellen Entwicklung heraus gewalttätig mit schwerwiegenden körperlichen Folgen gegen das weibliche Geschlecht richtet. Eltahawy spricht von über 125 Millionen verstümmelten Mädchen und Frauen religionsübergreifend - schwerpunktmäßig jedoch bei Muslimen - in 29 afrikanischen Ländern und im Nahen Osten.

Die Autorin verweist darauf, dass dieser unmenschliche Eingriff in die weibliche Sexualität in Ägypten immer stärker medikalisiert wird.
Diese menschenverachtende Sexualmoral platziert die Frau auf einer Werteskala. Ist sie verstümmelt, ist sie geeignet für die Ehe. Ist sie nicht verstümmelt, ist sie nicht geeignet. Ist sie Jungfrau, ist sie geeignet für die Ehe. Ist sie keine Jungfrau, ist sie nicht geeignet und entehrt zudem die Familie. Die Sexualmoral legt ihre moralische Messlatte jedoch vielfach nicht dort an, wo es um die Polygamie und die Verheiratung von Kindern geht. Hier beruft sich die männliche Moral auf den Propheten Muhammad, der mit seiner zweiten Frau Aischa eine Kinderehe einging.

Eltahawy sagt, dass der westliche Kulturrelativismus die patriarchale Frauenfeindlichkeit festigt, denn „Wenn Personen des Westens aus << Respekt >> für fremde Kulturen schweigen, unterstützen sie damit nur die konservativsten Elemente dieser Kulturen.“. Konservative Elemente, die die Frauen Jahrhunderte zurückwerfen. Konservative Personenstandsrechte, die statt auf dem Zivilrecht und dem Strafrecht auf der Scharia beruhen. Die religiöse normative Setzung der Scharia greift tief in das Ehe- und Familienleben ein und manifestiert die Geschlechterasymmetrie.

Die kulturell-religiöse Unterordnung unter den Mann zeigt sich auch dadurch, dass die Frau sich im öffentlichen Raum unsichtbar macht. Ob es sich um das Kopftuch handelt oder den saudi-arabischen Nigab. Laut Eltahawy ist, trotz vielfältiger Gründe, die von der Mode bis zum innerfamiliären und gesellschaftlichen Druck reichen, der Kopf- und Körperschleier von Ideologie und nicht von Freiwilligkeit besetzt. Die oft genannte Schutzfunktion der Verschleierung vor der männlichen Belästigung sieht Elthahawy nur als vorgeschobenes Argument. Denn während der Hadsch hat sie selbst mit dem Hidschab sexuelle Belästigungen erfahren.

Die Autorin zeichnet ein Bild der arabischen Welt, wo patriarchale Mechanismen gekoppelt mit Religion die Kontrolle über die Frau ausüben, sie letztendlich entmündigen und sie in ihrem Wert herabsetzen. Als gesellschaftlicher Bestandteil von Saudi-Arabien und Ägypten hat sie nicht nur einen tiefen Einblick in die Wirkmechanismen dieser Unterdrückung bekommen, sondern sie selbst erfahren. Neben sexuellen Übergriffen brachte ihr die Teilnahme an einer Demo im Jahr 2011 zwei gebrochene Arme durch Polizisten ein. Auch sie selbst ist durch die dogmatische Sexualmoral sozialisiert. Späte erste Sexualkontakte und ein ständiges Schuldgefühl überlagern die selbstverständliche und normale Sexualität. Mona Eltahawy sagt, dass es Zeit ist, die Frau aus dieser kulturell-religiösen patriarchalen frauenfeindlichen Umgebung zu befreien. Dazu bedarf es nicht nur einer sexuellen Revolution, sondern innerhalb der Gesellschaft muss ein Veränderungsprozess und Umbruch hinsichtlich der Sicht auf das weibliche Geschlecht stattfinden.

Mona Eltahawy ist nicht nur Journalistin und Autorin. Nein, wir können sie glatt als „tough cookie“ bezeichnen, denn sie wagt sich an ein Tabuthema heran. Denn für die sexuelle Revolution der Frau in der islamischen Welt einzutreten, ruft Anfeinder von Seiten der muslimischen Community ebenso wie von Seiten der unverbesserlichen Kulturrelativisten hervor. Die einen wie die anderen argumentieren mit dem Wort „Islamophobie“. Aber Mona Eltahawy ist nicht islamophobisch, wenn sie zur Beseitigung einer „Geschlechterapartheid“ in einem reaktionären arabischen Raum, der in seiner normativen Ausprägung einen patriarchal-religiösen Gehorsam einfordert, aufruft. Denn Frauenrechte sind Menschenrechte und Menschenrechte - ob ratifiziert oder nicht - sind nicht nur universell gültig. Sie sind auch nicht kulturell verhandelbar oder interpretierbar.

Wenn die Autorin fragt, „Warum hasst ihr uns so?“ bleibt die Frage, ob das Wort Hass nicht zu schwer wiegt und übertrieben ist.
Nein, es wiegt nicht zu schwer und es ist nicht übertrieben. Denn Hass impliziert Gewalt und Ausgrenzung. Und gerade diese Gewalt gegen Frauen und ihre Ausgrenzung aus der Gesellschaft stellt Eltahawy an den Pranger. Eine Gewalt, die insbesondere in der arabischen Welt durch eine festzementierte Orthodoxie und tradierte patriarchal-kulturelle Muster die elementaren universellen Menschenrechte verletzt.

Der von ihr angeprangerte Kulturrelativismus zeigt auf, dass die universellen Menschenrechte in den westlichen Gesellschaften vielfach dem Entgegenwirken des Vorwurfs des Kulturimperialismus geopfert werden. Die weibliche Genitalverstümmelung von Millionen von Mädchen und Frauen ist hierfür ein extremes Beispiel. Es geht um das Recht der Frau auf ihre körperliche Unversehrtheit. Kulturrelativismus und die Medikalisierung führen zur Verharmlosung dieser schwersten Körperverletzung und blockieren einen Aufklärungsprozess.

Doppelte Standards bei der Ehe, bei der Scheidung, bei Vergewaltigung und vieler anderer Lebensbereiche machen sichtbar, dass es sich um patriarchale Abwehrmechanismen handelt. Abwehrmechanismen, die die Frau sozial kontrollieren. Wobei der Kopf- und Ganzkörperschleier symbolhaft für die absolute Ausgrenzung aus der Gesellschaft gilt.

Es ist die zwingende Entkopplung dieser Symbiose von Religion und Politik, die die Basis für die Befreiung der Frau bildet. Eine Entkopplung, die laut Eltahawy nur revolutionär zu erreichen ist.

Ein wichtiges gesellschaftskritisches und wegweisendes Buch über die Befreiung der Frau in der arabischen Welt aus der strukturellen männlichen Misogynie, geschrieben von einer Frau, die ihren Feminismus paradoxerweise in Saudi-Arabien entdeckt hat.

Mona Eltahawy, Warum hasst ihr uns so? Für die sexuelle Revolution der Frauen in der islamischen Welt, ungekürzte Taschenbuchausgabe, Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016, 208 Seiten, EUR 10,00, ISBN 978-3-492-30885-4

© Soraya Levin