Die Journalistin Valentina Giannella wollte eigentlich ihrem 13 Jahre alten Sohn erklären, was Rassismus ist. Herausgekommen ist das thematisch sehr ambitionierte Buch Nein zu Rassismus. Ein Buch, das aufgrund seiner Gestaltung vor allem die jugendliche Zielgruppe anspricht.

In 14 Kapiteln, die sich farblich von grün zu orange abwechseln, wird mit dem symbolischen Hilfeschrei von George Floyd „I can’t breathe’’ begonnen und ein weiter Bogen in die Historie des Rassismus gezogen, der mit einem Zukunftsausblick endet. 

Die kurzen Texte sind inhaltlich reduziert und der Sprachausdruck ist für die Zielgruppe gut gewählt.

Veronica Carratello ergänzt die Texte mit Botschaften transportierenden farblichen Illustrationen, die ein Türöffner für die jeweilige Thematik eines neues Kapitels sind. Dieses ist neben der farblichen Gestaltung ein weiterer Faktor mit viel Motivation durch das Buch zu gehen. 

Am Ende des Buches findet sich ein kurz gehaltenes Glossar zu den wichtigsten im Buch genannten Fachbegriffen, welches das Verständnis unterstützt. Eine nützliche Webseitenempfehlung ist für all diejenigen gedacht, die sich intensiver mit der Thematik auseinandersetzen möchten.

„I can’t breathe“. Giannella steigt mit diesem am 26.05.2021 von George Floyd zigfach gerufenen Satz in die Thematik ein. Denn dieser Satz hat den US-amerikanischen Rassismus durch seine galoppierende Verbreitung in den sozialen Medien unaufhaltsam aus seiner Anonymität gehievt. Es handelt sich um kein neues Gesicht, was die Autorin mit dem strukturell dominanten Erbe der weißen Vorherrschaft begründet. Eine weiße immer noch anhaltende Vorherrschaft, die aus der Vergangenheit bis in die Gegenwart hineinreicht und der sich die Black Lives Matter Bewegung entgegenstellt. Eine Bewegung, die die aus Macht, Vorurteilen und Diskriminierung zugeschriebenen Rollenmuster in die aktuelle länderübergreifende Debatte bringt. 

Die Illustration von fünf Gefangenen, von denen vier nicht weiß sind, deutet auf dieses ungleiche Muster hin. Ein Muster, das sich, obwohl in den USA gesetzlich seit 1964 verboten, auch in anderen sozialen Feldern wie zum Beispiel der Ökonomie zeigt. Hier führt Valentina Giannella an, dass die Afroamerikaner aufgrund des kulturellen Spielfeldes über die Sklaverei bis zur Verhinderung an der Erfüllung des amerikanischen Traums auch heute noch weitaus schlechter gestellt sind, als die weiße Bevölkerung. Diese Ausgrenzung der Teilhabe an der ökonomischen Prosperität setzt sich als Kettenreaktion in allen anderen sozialen Feldern wie zum Beispiel der Bildung und dem Arbeitsmarkt fort. 

Die Autorin zeigt im weiteren Schritt auf, wie der Hass Stimmungen aufheizt und sich über Organisationen wie dem Ku-Klux-Klan und dem Internet bis hin zur Capitol-Erstürmung im Januar 2021 verbreitet und ausgewirkt hat.

Ein weiteres ineinandergreifendes Thema dessen Ursprung in der Sklaverei liegt, ist nach Gianella die Geschlechterungerechtigkeit, die insbesondere schwarze Frauen trifft. Hier dehnt sie den Rassismusbegriff soweit, dass sie Prostitution mit der Frau als Ware als rassistisch definiert. 

Ihr Ausblick auf den Klimawandel zeichnet ein düsteres Zukunftsbild. Hat sie vorher noch gefragt, ob wir alle Rassisten sind, so besteht für jeden von uns die Gefahr mit einer durch den Klimawandel verursachten exzessiven Migrationsbewegung rassistisch zu werden.

Nein zu Rassismus sensibilisiert nicht nur Jugendliche sondern auch Erwachsene für das wichtige Thema des anthropogenen Rassismus. Die ineinandergreifenden illustriert untermalten Themen tragen zu einer das Schweigen brechenden Debattenkultur bei, die das aus dem Bewusstsein gerückte Erbe der weißen Vorherrschaft aus dem diffusen Licht herausholt. Ein Licht, das bereits schon von Nelson Mandela entzündet wurde. Ein Licht, hinter dem sich jedoch weiterhin ein lichtfreier Raum des unmenschlichen Rassismus befindet.

Was zu kurz kommt, ist über den Gedanken der weißen Vorherrschaft hinauszugehen und kritische Fragen auch in die andere Richtung zu stellen. Diese Gedankenwandlungen werden von der Autorin von vornherein als abwegig ausgeschlossen. Es ist richtig, dass die Machtstrukturen der ehemaligen Kolonialmächte sich nachhaltig als ein schweres Gepäck erweisen. Dass sie aber generell als Gradmesser für Rassismus dienen, verhindert die Betrachtung sozialer Komplexität. 

Das selbstkritische Hinterfragen darf sich nicht nur auf die bestätigenden Informationen über unser Gedankengebäude zum Rassismus beziehen. Beispielsweise ist das ethnische Profiling nicht per se rassistisch, sondern erst dann, wenn es diskriminierend gebraucht wird. Das Denken auch in die andere Richtung löst also erst die Komplexität auf. 

Der für den Tod von George Floyd verantwortliche und zu einer über 20-jährigen Haftstrafe verurteilte Polizist wird eher wie ein Nebeneffekt behandelt. Ja, vielleicht resultiert die hohe Haftstrafe für den weißen Polizisten für den Mord an dem Afroamerikaner George Floyd daraus, dass weltweit auf den Prozess geblickt wurde. Ja, aber vielleicht ist die Justiz auch einfach nur ihrer Aufgabe nachgekommen. Auch das muss diskutiert werden. 

Ebenso die teilweise nicht friedlich verlaufenden Demonstrationen. Hier blockt die Autorin und bezeichnet die Destruktivität von Bevölkerungsteilen als „nicht erheblich“, da es kein Mehrheitshandeln der Demonstrierenden gewesen sei. Hier akzentuiert sie eindeutig einseitig. Gerade vor dem Hintergrund ihres sehr gedehnten Begriffes von Rassismus. Der müsste an dieser Stelle dann genauso greifen und jede Form gewaltsamer Ausschreitungen anprangern.

Irgendwie bleibt dieser unversöhnliche Nachhall, was schade ist, denn eine kritische Auseinandersetzung ist gefordert. Das Buch bleibt trotz dessen empfehlenswert, insbesondere wenn es pädagogisch begleitet wird, da es mit einem leichten Zugang aufzeigt, dass wir als Menschen zwar behaupten, in der Zivilisation angekommen zu sein, der globale Rassismus aber zeigt, dass wir weiterhin rückwärts gehen. Wichtige Fragen stellen sich durch das Buch: Wie gelingt es einer Gesellschaft sich zu einer menschlichen antirassistischen Gesellschaft zu transformieren? Und was kann ich als einzelner dazu beitragen? Denn die Frage muss gestellt werden, ob Rassismus ein Ausdruck der systemischen Gesellschaft ist oder ob die Ursache für Rassismus nicht eher in dem Verhalten und starren Denkmustern des einzelnen Menschen begründet liegt. 

Valentina Giannella, Nein zu Rassismus. Von Black lives matter bis Klimagerechtigkeit, 1. Auflage 2021 Midas Verlag AG, Zürich, Titel der Originalausgabe „Il Nuovo Razzismo“ bei Centauria, Milano, 128 S., ISBN: 978-3-03876-546-2, € 14,90.

© Soraya Levin