Wieder ein Mord. Schauplatz des Verbrechens ist Weißrussland im Jahr 1943. Eigentlich will er sie gar nicht töten. Doch dann der tödliche Schuss auf diesen kleinen Körper. Etke, vielleicht fünf, vielleicht sechs Jahre alt. Hingerichtet von Pasternaks Ich-Erzähler Heinrich Hoffmann, Oberleutnant der Polizei und Ermittler in einem mysteriösen Mordfall an den SS-General Steiner und seiner Ehefrau. Mitwirkender an der Ermittlung ist Hoffmanns Schwippschwager Manfred.

Pasternak setzt mit dieser Figur einen deutlichen Kontrast zu Heinrich. Denn der SSler Manfred tobt sich in diesem Gebiet, wo jeder zum „Freiwild“ erklärt ist, richtig aus. Seine Gewalteruptionen sind ungeahnten Ausmaßes. Er ist sadistisch und hat Spaß am Quälen. Wütet im Ghetto, treibt Bauern aus ihren Dörfern, brandschatzt und mordet, Kinder und Erwachsene werden blutig geschlagen und lebendig den Schweinen zum Fraß vorgeworfen. Bettfedern quetschen sich in die Körper, Unterkiefer und Köpfe werden zerschmettert. Harmlos stirbt, wer einfach nur erschossen wird. Die Frage nach der Menschlichkeit stellt sich für Manfred nicht. Heinrich hingegen zeigt noch Reste eines moralischen Widerstands. Er weiß um die Partisanenlüge. Manfred spricht eiskalt die Realität, die Heinrich nicht wahrhaben will, aus. „Es handelt sich um Mord Heinrich. [...]. Die Juden [...] werden ausgeplündert, wir nehmen ihnen alles und lassen sie die Peitsche spüren, nackt verpassen wir ihnen eine Kugel in den Nacken, während ihre Kinder dabei zusehen müssen.“.

Pasternaks Heinrich verlässt die inhumane Bühne. Indem ihm plötzlich bewusst wird, dass das große Schlachten der minderwertigen nichtarischen Rasse über seine Polizeiarbeit hinausgeht, will er nicht mehr mitspielen. Er flüchtet sich lieber in die Aushalteparole von Zarah Leander und hofft auf ein Wunder. Mittlerweile bekommt er heraus, dass Manfred ihn belogen hat. Er ist irgendwie in den Steinermord, der mit Gold zu tun hat, verstrickt. Während Manfred unterdessen heimlich nach Hamburg gereist ist, wird Heinrich von Leuten von der SS, die ebenfalls hinter dem Gold her sind, verfolgt. Unter dem Vorwand in Hamburg heiraten zu wollen, reist er Manfred nach. Er trifft genau zu dem Zeitpunkt ein, als die Stadt im Bombenhagel versinkt. Seine Verlobte und Manfred sind im Feuersturm ums Leben gekommen. Heinrich findet das Mysterium um Steiners Tod heraus und erkennt Manfreds wahre Freundschaft zu ihm. Er rettet am Ende einer scheinbaren Nichtarierin mit Hilfe seiner toten Verlobten und des toten Manfreds das Leben.

An dieser Stelle ist Simon Pasternaks Heinrich nun endgültig geläutert. Betrachtet Heinrich die Hilfswilligen innerhalb der „toten Zone“ zunächst als menschenähnliche Wesen, so erkennt er am Ende auch in den Nichtariern Menschen. Pasternak macht seinen Heinrich damit zum nachträglichen Opfer. Die gewählte Täterperspektive fokussiert sich einzig auf Gut und Böse. Der gute Heinrich, ein junger Mann, der nur verliebt ist und den Sommer genießen möchte, wird durch den Krieg zum bösen Heinrich. Selbst in der Leichenhalle Weißrusslands wirkt Heinrich teilweise unbeteiligt und ahnungslos. Verwüstung und Mord durch die Rollkommandos und mittendrin der bibellesende und Menschlichkeit zeigende Heinrich, der sich nach dem Geruch von Deutschland sehnt und Liebesbriefe an seine Eline in Hamburg schreibt. Ein junger Mann, der sich an „Es wird einmal ein Wunder geschehen“ klammert. Schlicht ein Leidtragender des Krieges und des Nazitums.

Aber nicht nur die SS, vertreten durch Manfred, hat innerhalb dieser Zone gewütet, sondern auch gerade die für die Verbrechensbekämpfung zuständige Ordnungspolizei, die dem Reichsführer der SS unterstellt gewesen ist, hat sich massiv an der Auslöschung der Ostjuden beteiligt. Pasternaks Heinrich steht irgendwie neben dieser Spur, obwohl er doch mitten drin ist.
Den Schluss des Romans bildet der Luftangriff auf Hamburg. Mitten im Inferno Heinrich und die vielen Opfer, darunter auch seine vom Feuer verwüstete Liebe. Ja, es sind grausige und nicht untertriebene Beschreibungen der Flüchtenden im zerbombten und Feuersturm geschluckten Hamburg, bei dem Tausende ums Leben kommen. Eine Aufrechnung von Grausamkeiten und Toten steht nicht zur Debatte. Aber es bleibt der fahle Beigeschmack der Relativierung der Gewalteruption gegen die Juden und sogenannten Partisanen innerhalb der „toten Zonen“, denn diese verschwimmt am Ende und verblasst im apokalyptischen Hamburg.

Tote Zonen ist ein beklemmend-spannender Roman zwischen Fiktion und Realität über den sogenannten Partisanenkrieg in Weißrussland 1943. Brutal geschrieben und durchaus mit Thrillerstatus stellt Pasternak die Frage nach Gut und Böse. Er macht den guten Heinrich zum Werkzeug des bösen Systems, vertreten durch den ideologisch besetzten sadistischen Manfred. Pasternaks Heinrich bekommt damit den Stempel ENTLASTET aufgedrückt. Entlastet von jedweder Verantwortung. Und mit ihm auch alle weiteren Heinrichs. Zum Schluss die Tragödie. Der schuldlose Täter versinkt gereinigt in denTod und ist erlöst. Mehr geht nicht.

Simon Pasternak, Tote Zonen, Roman, aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg, 304 Seiten, gebunden, Knaus Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2014 München, EUR 19,99 [D], EUR 20,60 [A], EUR 28,50 [CHF], ISBN 978-3-8135-0646-4

© Soraya Levin