Was uns den Schlaf raubt

Wenn das nächtliche Kopfkino zur Bedrohung wird, kann es nicht zum Albtraum werden, dann ist es ein Albtraum.

Reinhard Pietrowsky, Professor für klinische Psychologie und psychologischer Psychotherapeut sowie Leiter der psychotherapeutischen Hochschulambulanz der Universität Düsseldorf geht dem nach „Was uns den Schlaf raubt“. Es sind die Schlafstörungen, die sogenannten Parasomnien, die in der einschlägigen Literatur insgesamt betrachtet werden. Der Autor Pietrowsky richtet seinen Fokus hingegen auf ein spezielles Phänomen, auf den Albtraum. Ähnlich gelagerte Schlafstörungen wie Schlafwandeln oder nächtliches Hochschrecken werden in seiner Betrachtung nur am Rand behandelt.

Der Albtraum wird von Pietrowsky anhand von psychologischen, als auch von kulturellen und kunsthistorischen Kriterien beleuchtet.
Beginnend mit der Definition des Begriffs Albtraum folgt im Anschluss die Bedeutung für den Kulturbereich, dem sich ein Blick auf unsere Schlafarchitektur anfügt. Anschließend wird der Frage nachgegangen, welche Aspekte Albträume hervorbringen. Eine Abgrenzung zu weiteren ähnlich gelagerten Schlafphänomen bildet ein weiteres Kapitel. Am Ende wird die eingangs gestellte Frage, ob Albträume nicht auch positive Effekte haben, nochmals aufgegriffen.

Wir wollen uns erholen, wenn wir schlafen. Doch mitunter ist der Schlaf wie ein angstbesetzter Thriller oder Horrorfilm, in dem man verfolgt wird, sich nicht bewegen kann, der Tod um einen herum lauert, man teilweise selbst zum Mörder wird oder ganz einfach in die Tiefe stürzt. Meistens erwacht man aus seinem schockierenden Nachtkino. Zurück bleibt die genaue Erinnerung an die Ereignisse.

Ereignisse, die je nach Zeitalter und Wissensstand unterschiedlich interpretiert werden. Mal ist es ein Mysterium oder eine Vision, mal eine Gottesbotschaft, dann sind es die bösen Geister und später die äußeren Wirkmechanismen wie ungünstige Schlafbedingungen bis hin zur Seele, die uns in den Albtraum treiben.

Sah die Antike die Götter als Traumbotschafter an, so geht das Mittelalter von teuflischen Geistern aus, die den Schlafenden befallen.
Mit der Psychoanalyse wechselt der Blick von der äußeren Einwirkung auf den Schlafenden hin zu dem inneren Seelenleben und der Problemverarbeitung. Wichtige Vertreter wie Sigmund Freud und C.G. Jung weisen dem Träumen eine adaptive Funktion zu. Nach Sigmund Freud kompensiert der Albtraum unsere alltäglichen Problemlagen und dient der emotionalen Bestrafung für negativ besetzte sexistische Wünsche und Aggressionsgefühle.

Nach C. G. Jung orientieren sich unsere Traumsymbole an Archetypen. Mit unserem Traum kompensieren wir unsere im Alltag nicht wahrhaben wollenden und kaum ausgelebten Persönlichkeitsanteile, so dass ein Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann.

Die Mehrzahl der vorhandenen Traumtheorien bezieht sich auf den adaptiven Standpunkt.

Literarisch beschäftigt sich bereits das Gilgamesch Epos mit Traumvisionen. Ebenso sind Träume ein Bestandteil des Alten Testaments und der Dichtungen Homers.
Mit Dürers Bild „Das Traumgesicht“ wird dem Albtraum erstmalig ein Gesicht gegeben. Die Surrealisten wie Salvador Dalí haben mit der Verschmelzung unserer Realität und dem inneren nicht fassbaren Seelenleben unlogische Traumgesichter, sprich Albträume, geformt.

Die Filmindustrie hat sich ebenfalls diesem Thema zwischen Realität und der Phantasie angenommen. Filme wie Matrix verdeutlichen dieses.

Versucht die Kunst Träume auszudrücken, so geht die klinische Wissenschaft an die Entschlüsselung heran. Mit der Entdeckung der REM-Schlafphase 1951 ist der Albtraum geradezu ein „paradoxer Schlaf“, da diese Phase der Wachphase gleicht. Es gibt daher Vermutungen, dass der Träumende erst mit dem Aufwachen beginnt zu träumen. Albträume gelten heute als psychische Störung. Sie können jedoch nicht mit Medikamenten behandelt werden. Einzig ihre Auswirkungen wie zu wenig Schlaf können medikamentös gemildert werden.

Reinhard Pietrowsky sieht den Albtraum trotz seiner negativen körperlichen Symptomatik wie Schweißausbrüche, Ängste und Übelkeit als Chance. Der Albtraum macht uns für unsere unbewussten Problemlagen empfänglich. Mit der Aufmerksamkeit und der Bewusstmachung lässt sich leichter eine Bewältigungsstrategie entwickeln.

Der Autor fasst zusammen, was unter dem Begriff Albtraum zu verstehen ist. Durch die Fokussierung auf das eine Schlafphänomen wird die Entwicklung vom Mysterium bis zur klinischen Theorie deutlich gemacht. Das Aufgreifen des künstlerischen Ausdrucks von Albtraum gestützt durch Bilder verdeutlicht diesen Prozess und zeigt, dass wir uns quasi im Albtraum in einer Parallelwelt befinden.

Was uns den Schlaf raubt ist zwar eine interessante Abhandlung über das Phänomen des Albtraums, die jedoch kein Alleinstellungsmerkmal für sich beanspruchen kann. Auch wenn Pietrowsky eingangs darauf hinweist, dass in der bereits vorhandenen Traumliteratur der Albtraum einen Randbereich ausmacht und sein Werk diesen Spezialfall des Schlafphänomens als Schwerpunkt setzt, so bleibt seine Abhandlung lediglich eine Zusammenfassung von bereits Bekanntem zum Schlafphänomen Albtraum. Ein Erkenntnisgewinn oder neuer Diskussionsansatz fehlt. In Bezug auf seine zu Beginn gestellte Kernfrage, ob der Albtraum auch positive Elemente mit sich bringt, greift er lediglich die adaptive Theorie wieder auf.

Für einen ersten Einblick in die Traumproblematik mit ihrem Spezialfall Albtraum sicherlich hilfreich, auch wenn in der Einleitung mehr versprochen wird als im Ergebnis herauskommt.

Was uns den Schlaf raubt. Albträume in Psychologie, Kunst und Kultur, Reinhard Pietrowsky,  Hardcover Buch, 2014 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt, 208 S. mit 31 s/w Abb., Bibliogr. und Reg., Fadenh., geb. mit SU., ISBN: 9783534264582, EUR 29,95

© Soraya Levin