Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus. Bereits der Untertitel verdeutlicht den Gegenstand der Auseinandersetzung. Tilman Tarach, Jurist und Publizist setzt sich mit der Frage auseinander, inwieweit der Rasse- und Vernichtungsantisemitismus der Nazis den Höhepunkt eines kontinuierlichen Prozesses des christlichen Antisemitismus bildet. 

In 22 Kapiteln verdeutlicht der Autor in seiner Analyse, dass der Holocaust eine Folge der christlichen Judenfeindlichkeit ist, deren Kontinuitätslinie im Vernichtungsantisemitismus zur Explosion gebracht wird und die weiterhin im modernen und israelbezogenen Antisemitismus verankert ist.

Den Kapiteln vorangestellt sind Worte der deutschen Journalistin Anetta Kahane, die sich zur Weitergabe des Antisemitismus äußert. Sie sieht den Antisemitismus fest verankert in der europäischen Kultur mit der folgenreichen Problematik eines dauerhaften Bedrohungsaspekts für die Juden.

Tilman Tarach hebt hervor, dass der Antisemitismus der Nazis eine christliche Vorgeschichte hat. Mit dem sich ausdehnenden Machtzufluss der katholischen Kirche bestimmt diese die gewalttätige Entwicklung gegenüber den Juden. Geht es zunächst darum, die christliche Kirche durch den Zwang der Juden zur Konversion zu schützen, so manifestiert sich im Laufe der Entwicklung eine antijüdische Kirchenpolitik, die von den jeweiligen Herrschern nicht nur übernommen, sondern im christlichen Sinne verlangt wird. Daraus kann abgeleitet werden, dass  der christliche Antisemitismus ein wesentlicher Faktor des politischen und rassistischen Antisemitismus ist.

Kirchliche Hassprediger tragen zur Festigung des Antisemitismus bei. Zur Veranschaulichung nennt Tarach unter anderem den Heiligen Ambrosisus, Bischof von Mailand und den Reformator Martin Luther, die beide eine scharfe Judenhetze betreiben.  

Ein weiterer relevanter Aspekt, den der Autor in diesem Zusammenhang benennt, ist die Dämonisierung des Juden, der mit dem Teufel gleichgesetzt wird. Tarach stützt seine Aussage mit dem Hinweis auf das Johannes Evangelium, in dem Jesus den Vater der Juden als Teufel bezeichnet. Der Autor verweist zudem auf Adolf Hitler und sein Hetzblatt „Der Stürmer“, die dieses teuflische Vaterbild aufgreifen. Mit dem Buchcover und dem abgebildeten Ortseingangschild „Der Vater der Juden ist der Teufel“ zeigt der Autor die Verbreitung dieses christlichen Mythos während der Nazi-Zeit auf.

Aus der von Tilman Tarach angeführten Gleichsetzung des Bösen mit dem Juden durch den Klerus und die Fortsetzung dessen im Nationalsozialismus kann geschlossen werden, dass die katholische kirchliche Bitte an Gott, das Böse zu beseitigen, in die Praxis umgesetzt wird.
Diesen Schluss verdeutlicht der Autor anhand der spanischen Blutreinigungsgesetze des 15. Jahrhunderts, die den Nachweis eines christlichen Stammbaums verlangen und ihr Extrem bei dem Orden der Jesuiten finden, die - wie es Tarach betont - den christlichen Nachweis für eine Ordensaufnahme bis ins 5. Glied festlegen. Tarach stellt diesen Gesetzen die Nürnberger Gesetze der Nazis gegenüber. Die Mechanismen, die der Autor herausarbeitet, zeigen, dass beide Gesetze im Einklang miteinander stehen. Zu nennen sind die Ausgrenzung über Arbeitsverbote, Ausgehverbote, Heiratsverbote, Wohnverbote, Ghettoisierung bis zur Sichtbarmachung des Juden durch Bekleidung wie gelbe Sterne oder Hüte. Tarach weist darauf hin, dass sich die Kennzeichnungspflicht der Juden mit der Einführung des Judensterns durch die Nazidiktatur nicht nur wiederholte, sondern dass unter der Hitler-Diktatur darauf zurückgegriffen wurde.  

Mit dem Hinweis auf das antijüdische Alhambra-Edikt von 1492, dass die Grundlage für die Vertreibung der Juden aus Spanien bildet, verdeutlicht der Autor die Parallelen zu den Nürnberger Gesetzen von 1935. Mit der Vertreibung aus Spanien geht auch der Raub des jüdischen Eigentums und Vermögens einher. Dieses deckt sich mit den Nürnberger Reichsgesetzen, deren eine Folge Eigentums- und Vermögensverluste der Juden waren. Der Autor wirft zu Recht die Frage auf, inwiefern sich die katholische Kirche an den Juden bereichert hat und welche kirchlichen Vermögensbestandteile eigentlich jüdischen Ursprungs sind.
Tarach zeigt mit den Blutschutz- und Blutreinigungsgesetzen, dass die Konversion der Juden zum Christentum keinen Schutz vor der Inquisition sowie vor dem tödlichen KZ bieten kann. Der Autor legt Gewicht darauf zu betonen, dass es im Fall der Reinheit des Blutes sowie dem Ariernachweis der Nazis um die Religion und nicht um das Blut einer Rasse geht. 

Die Position des Autors ist aufgrund der dargelegten Parallelen durchaus begründet, denn betrachtet man den Abstammungsaspekt, so machen die Limpieza de Sangre sowie die Nürnberger Gesetze die gesellschaftliche Teilhabe an der Herkunftslinie fest. Zudem ist im „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes …“ der Nazis für die Mischlinge 2. Grades der Rassebegriff ersetzt durch die Religionszugehörigkeit. Dieses ist ein Beleg, dass es sich bei beiden Gesetzen um religiös begründete Rassegesetze handelt.

Tilman Tarach legt dar, dass im Zentrum des christlichen Antijudaismus die ewige Kollektivschuld der Juden steht: Der Gottesmord an Jesus Christus. Diese Legende über den Christusmord ist im Neuen Testament verankert und bereitet den Boden für den Vernichtungsantisemitismus, der im Holocaust mündet. Unterdrückung und Pogrome gegen die Juden werden seitens der Kirche mit dem Christusmord gerechtfertigt. Dieser Mordvorwurf ist prägend für das christlich-jüdische Verhältnis. Der Autor betont daher zu recht, dass es eine christlich-jüdische Kultur nicht gibt.

Das konstruierte Gottesmordmotiv setzt sich beständig fort. Wie Tarach betont, greift der Katholik Adolf Hitler dieses Motiv auf und sieht in Jesus den ersten großen Antisemiten, der im Kampf gegen die satanische Macht der Juden gestorben ist. 
Tarach verweist darauf, dass selbst Personen wie Martin Niemöller die Juden für den Mord an Jesus Christus bezichtigen. 

Die Christusmordlegende wird bis heute transportiert und die Juden werden als eine weltweite Gefahr dargestellt. Der Autor führt aus, dass die Piusbrüder bis heute an dieser Legende festhalten. Weitere Beispiele, die Tarach nennt sind unter anderem die Passionsspiele zu Ostern sowie der Film „Die Passion Christi“, die sich der alten antijudaistischen Motive bedienen.

Transportiert wird mit der Christusmordlegende auch weiterhin das Gerücht über den Hostienfrevel sowie die Ritualmordlegende wie Tarach ausführt. Tilman Tarach führt die Damaskus-Affäre von 1840 an, die als Beleg gilt, dass sich dieser Verschwörungsmythos unaufhörlich fortsetzt  und Einzug in den Nahen Osten hält. Die Behauptung, dass ein Mönch und sein muslimischer Diener von den Juden für ihre rituellen Blutzwecke ermordet worden seien, führen zu einer pogromhaften Stimmung, die in Folter und Gewalt gegen die Juden endet. Das antisemitische Hetzblatt „Der Stürmer“ bezieht sich in seinen Texten mehrfach auf den Pater Thomaso.

Sogar nach dem entmenschten Holocaust kommt es im polnischen Kielce aufgrund dieser Legende zu einem todbringenden Pogrom, das sich auf andere Schauplätze ausweitet und Tausende von Juden zur Emigration zwingt. Ein Thema, das bis heute in Polen ein Tabu darstellt. Ein christlicher Antisemitismus, der sich nicht nur auf Polen bezieht, sondern im 19. und 20. Jahrhundert in Osteuropa antisemitischer Alltag ist. Der Autor verweist in diesem Zusammenhang auf die heutige christliche-nationalistische Identitätsbildung in Osteuropa, die weiterhin antijüdische Denkmuster produziert. 

Tarach weist darauf hin, dass dieser antisemitische Kontinuitätsprozess sich ebenfalls während der Corona-Pandemie zeigt. Impfungen und Vergiftungen werden ursächlich den Juden zugeschrieben. Der Autor zieht hier einen Bogen zu den Corona-Impfgegner und der QAnon Bewegung sowie radikalen christlichen Gruppierungen wie den Christen im Widerstand. Ebenso lässt sich bei den heutigen anti-israelischen Demos die Ritualmordlegende anhand der Plakataufschriften und Rufe „Kindermörder Israel“ ausmachen.

Teuflische Allmacht verdeutlicht, dass die Nazis für ihren Vernichtungsantisemitismus eine Vorlage im christlichen Antisemitismus finden. Ein Antisemitismus, der Papst Pius XII. während des Holocausts zum Schweigen bringt. Dieses demonstriert nach Tarach auch die engagierte Fluchthilfe des Vatikans für Nazi-Verbrecher und Massenmörder wie Adolf Eichmann nach dem Holocaust.

Dieser stetige antisemitische Strang verdeutlicht sich nach Tarach ebenfalls in der Ablehnung des Vatikans der Staatsgründung Israels zuzustimmen. Der Autor weist darauf hin, dass Terroristen wie Yasser Arafat dem Vatikan willkommen sind, die diplomatischen Beziehungen zu Israel hingegen erst 1994 aufgenommen werden. Auch spricht für die antijudaistische Haltung des Vatikans nach Tarach, dass der Papst im Jahr 1977 Israel darum bittet, den katholischen Erzbischof und Waffenschmuggler für die Palästinenser Capucci aus dem israelischen Gefängnis freizulassen.

Die antisemitische Kontinuitätslinie zeigt sich für Tarach zudem in der Dämonisierung von Israel als Aggressor und als Ursache für das Scheitern des Nah-Ost-Konfliktes sowie in der Legitimierung gesellschaftlicher linker sowie islamischer Gruppen für den Terror gegen Israel.
Auch die linken Gruppierungen pflegen eine überwiegend antizionistische Grundhaltung sagt Tarach. Er verweist auf die PFLP, die Volksfront zur Befreiung Palästinas, die bei der sogenannten Linken gut ankommt. Es handelt sich um eine radikale Organisation, mit dem Ziel Israel zu vernichten. Ein Hinweis, wie das Verhältnis der Deutschen zu dem neuen Staat Israel ist, ist die späte Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahr 1965.

In Teuflische Allmacht führt Tilman Tarach den Historiker Goldhagen an, der auf die Behauptung des Papstes Johannes Paul II., dass der christliche Antisemitismus nichts mit dem Vernichtungsantisemitismus der Nazis zu tun hat, von Geschichtskittung spricht.

Auch wenn im wissenschaftlichen Diskurs überwiegend eher Papst Johannes Paul II. zugestimmt wird und die deutsche Philosophin Hannah Arendt von einer vollständigen Entkopplung des Vernichtungsantisemitismus vom Antijudaismus spricht, so legt die detailliert und fundiert begründete Analyse von Tilman Tarach den Schluss nahe, dass der christliche Antisemitismus durchaus etwas mit dem Vernichtungsantisemitismus zu tun hat. Denn der Vernichtungsantisemitismus bedient sich, was die Ausgrenzung und die Vertreibung der europäischen Juden betreffen, der Schablone des christlichen Antisemitismus, die barbarisch endet.

Auch wenn wir heute von einer religiösen Vielfalt in Europa sprechen und thematisch auf den Punkt der Säkularisierung verweisen, ist die Verbindung mit dem Christentum und den alten Mythen, dass Juden Gottesmörder sind, nicht zu leugnen, denn insbesondere der Gottesmordmythos dient als Muster für die verschiedenen Antisemitismusformen, die sich diesem immer wieder bedienen. Mit der Säkularisierung verlagert sich die kirchliche antijüdische Haltung auf die politische Ebene, die ihren Ausdruck im Antizionismus findet. Die Judenfeindschaft entwickelt sich zu einem identitätsstiftenden Motiv, das die Juden nicht nur ablehnt, sondern sie und heute ihren Staat, vernichtet sehen will. 

Die jahrhundertelange durch Päpste angeordnete jüdische Ausgrenzung, Vertreibung und Pogrome führen zu einer kulturell tiefen Verwurzelung des Antisemitismus im Christentum. Die völkisch-antisemitische Bewegung der Nationalsozialisten greift, wie Tilman Tarach verdeutlicht hat, die religiösen antijüdischen Stereotype auf. Selbst in Hitlers „Mein Kampf“ tauchen die Juden als eine von Satan gesteuerte Macht auf. 

Tilman Tarach belegt, dass die Nationalsozialisten den Antijudaismus verinnerlicht hatten und dass die christlichen mittelalterlichen antijüdischen Stereotype heute weiterleben. Dieses wird besonders am Nahost-Konflikt deutlich. Bei antisemitischen Demos wie dem Al-Quds Marsch tauchen Plakate auf mit Aussagen wie „Israel trinkt das Blut unserer Kinder“ und „Kindermörder Israel“. Da ist sie: die stereotype Ritualmordlegende des Mittelalters. Nicht wieder, sondern immer noch aktuell. 

Israel wird als zionistischer Staat bekämpft und dämonisiert, wie unter anderem die BDS-Kampagnen zeigen, die auch von einem Teil der kulturellen Elite unterstützt werden.
Der Kunst- und Kulturbereich bedient sich weiterhin der christlich-antijudaistischen Stereotype, wie auf der Documenta von 2022 geschehen. Um nur zwei antisemitische Beispiele von der Ausstellung herauszugreifen, die die christlichen antijüdischen Stereotype transportieren: Das Bild vom Kindermörder Israel und man mag es nicht glauben, das Bild vom Wanderjuden, das den ewigen Juden symbolisiert. Achtung: Der Mörder Jesus, dieser Gottesmörder ist zur ewigen Wanderschaft verdammt.
Die Leitung der Documenta hat den Antisemitismus nicht erkannt. Obwohl er sich noch nicht mal religiös entkoppelt dargestellt hat. Ein schlechter Beigeschmack bleibt, denn was wird an dieser Stelle vernebelt? Ist es der kulturell verwurzelte christliche Antijudaismus? 

Teuflische Allmacht lenkt unseren Blick genau auf diese kulturelle Verwurzelung, für die wir sensibilisiert sein sollten. Die Lippenbekenntnisse des Klerus - der sich nicht scheut im 21. Jahrhundert die Karfreitagsfürbitte für die Juden zu beten - und der Politik über unsere christlich-jüdische Kultur, sind ein Balsam für diejenigen, die sich mit den Tatsachen nicht auseinandersetzen mögen. 

Die Betonung, dass wir als deutsche Gesellschaft eine besondere Verantwortung tragen und daher Antisemitismus bekämpfen, reicht nicht aus. Tilman Tarach liefert mit Teuflischer Allmacht einen wesentlichen Aufklärungsbeitrag, der längst überfällig ist. Denn nur wenn der Antisemitismus an seiner Wurzel gepackt wird, lässt sich die feindliche Sicht auf die Juden verändern. Dazu muss man die Wurzel kennen.

Tilman Tarach, Teuflische Allmacht. Über die verleugneten christlichen Wurzeln des modernen Antisemitismus und Antizionismus. Mit einem Geleitwort von Anetta Kahane, Edition Telok Berlin & Freiburg 2022, 1. Auflage, 224 Seiten, 40 Abbildungen, EUR 14,80 [D],  ISBN 978-3-9813486-4-4

© Soraya Levin