Argentinien in der Zeit zwischen 1976 und 1983. Es ist die Zeit der Junta unter General Videla. Eine Zeit der ungewissen Schicksale. Spurlos verschwinden Menschen, werden gefoltert, werden getötet. Manche tauchen wieder auf, doch sie sind nicht mehr dieselben.
Die Autorin María Teresa Andruetto geht in ihrem Buch "Wer war Eva Mondino?" einem dieser ungewissen Schicksale nach. Sie lässt verschiedene Zeugen zu Wort kommen. Der Ex-Ehemann, die Schwiegermutter, Vorgesetzte und Freunde, sie alle berichten über eine bis dahin für den Leser unbekannte Frau und zeichnen durch ihre unterschiedlichen Meinungen, Standpunkte und Auffassungen verschiedene Bilder von der Geschichte Eva Mondinos.
Als junges Mädchen steigt sie aus, aus dem einengenden dörflichen Alltag und geht in die Stadt. Sie schließt sich der Hippie-Kultur an und pflegt nach außen sichtbar einen befreiten Lebensstil. Ein Lebensstil, der allein durch seine Kleidung provoziert. Ihr nach außen verändertes Bild betont für viele der Berichtenden die Ablehnung der Gesellschaft. Manche Befragte nennen aber auch ihr Studium der Sozialarbeit mit ausschlaggebend für ihren Sinneswandel, da sie dort in einen engen Kontakt mit linken Gruppen geraten ist. Ab diesem Moment distanzieren sich ihre bisherigen Freunde deutlich von ihr. Von ihrem Ex-Ehemann erfährt der Leser, dass Eva eine recht starke Frau gewesen ist. Es ist also denkbar, dass sie gegenüber dem neuen System der Junta protestiert hat oder vielleicht sogar Widerstand geleistet hat. Evas neue Beziehung Aldo verschwindet spurlos während seiner Wehrdienstzeit. Auf der Suche nach Aldos ungewissem Schicksal soll sie für Informationen eine sexuelle Gegenleistung geboten haben. Wobei einige der Befragten Evas Motiv für ihr sexuelles Handeln eher in ihrer grundsätzlichen Vorliebe für das männliche Geschlecht sehen.
Auch Eva wird verhaftet und verschwindet für über ein Jahr im Gefängnis. Laut ihrer eigenen Aussage ist sie schwanger. Sie sieht ihr Kind nach der Geburt nie wieder. Befragte äußern sich unterschiedlich. Manche behaupten, Eva hätte sich die Schwangerschaft ausgedacht. Eva hat die Folter überlebt. Nach über 20 Jahren strandet sie wieder in ihrem Heimatdorf, wo sie sie sehr zurückgezogen lebt.
Der Roman hat nach der wahren Eva Mondino gesucht. Was am Ende von der Suche bleibt ist ein zerrissenes Bild, hervorgerufen durch eine Gesellschaft, die die Diktatur der Militärjunta negiert. Die in weiten Teilen sogar das ungewisse Schicksal von "Kommunisten" ohne Beklemmung in Kauf nimmt, ohne zu reflektieren, dass allein ein Verdacht gereicht hat, um spurlos in den Folteranlagen der Junta zu verschwinden. Eva und ihr Freund Aldo stehen stellvertretend für diese Opfer. Der Hinweis auf Evas vermeintliches im Gefängnis geborenes Kind ist durchaus nicht abwegig, denn die Kinder der Inhaftierten sind zur Adoption an Systemkonforme gegeben worden. Moralisch übernehmen die Befragten in María Teresa Andruettos Roman keine Verantwortung. Vielmehr drehen sie die Wahrheit einfach um, in dem sie Eva als Kommunistin und Denunziantin beschuldigen.
"Wer war Eva Mondino" widmet sich dem Leiden Tausender während der argentinischen Militärdiktatur und dem Schweigen und der Ablehnung der moralischen Verantwortung Tausender, die nicht die Wahrheit sehen wollen.
Durch den angewandten Dokumentationsstil gelingt es der Autorin nicht, dieses Leiden und das Schweigen erfahrbar zu machen. Vielmehr entsteht eine Mischung aus einer kühl beobachtenden Distanz, in der zu wenig Raum für Emotionen bleibt.
María Teresa Andruetto, Wer war Eva Mondino? Roman, Aus dem Spanischen von Susanna Mende, Die Originalausgabe erschien 2003 unter dem Titel La mujer en cuestión, Córdoba (Argentinien), Rotpunktverlag, Zürich 2010, 140 Seiten, ISBN 978-3-85869-423-2, CHF 24,00, € 16,00
© Soraya Levin