Durch Berlin-Mitte bummeln, ein Stück französisches Flair in den Galeries Lafayette genießen, sich etwas in dem Glanz der bunt-leuchtenden Modewelt sonnen und sich mit Uwe Westphals „Ehrenfried & Cohn“ erinnern an die einst bedeutende jüdische Textilindustrie des Hausvogteiplatzes.
Bei „Ehrenfried & Cohn“ geht es nicht nur um Konfektion. Nein, es geht um urbane Mode und ein französisches Lebensgefühl, welches die Partner mit ihrer Marke Lafayette nach Berlin transportieren wollen.
Sie sind erfolgreiche Konfektionäre. Sie sind nicht nur Deutsche. Sie fühlen sich auch als Deutsche. Ab 1933 ist das Deutschsein für sie gestrichen. Jetzt sind sie plötzlich nur „Juden“. Für Kurt Ehrenfried eine bittere Erkenntnis. „Er wollte nichts gemein haben, mit dieser Welt, aus der er hergekommen war. Er wollte diesen Schtetlgeruch nicht in seinem Büro, nicht in seinem Zuhause, nicht in seinem Leben haben.“. Uwe Westphal stellt dem Charakter des assimilierten Ehrenfrieds, den ostjüdischen in Armut lebenden Zwischenmeister Landauer gegenüber. Doch Ehrenfrieds Loslösung von seiner jüdischen Identität macht ihn unter den Nazis nicht zum Deutschen. Das „Jude sein“ wird ihm nun durch die Politik der Nationalsozialisten aufgezwungen. Ehrenfrieds „Nur-Geschäftsmann-sein“ unterscheidet ihn von dem politischen Landauer, dem Konsumenten von Literatur über August Bebel bis zum Völkischen Beobachter. Landauers politische Weitsicht lässt ihn rechtzeitig für sich und seine Familie eine Auswanderung nach London planen.
Im Umkreis von Ehrenfried denken die einen über eine Flucht aus Deutschland nach, die anderen haben dem Land längst den Rücken gekehrt.
Es ist wie ein leiser Protest, den Ehrenfried mit sich herumträgt. Er macht einfach weiter. Und die Nazis? Sie machen auch weiter mit ihrem mörderischen Terror. Unterscheiden nun zwischen Ariern und Nichtariern und beginnen mit der wirtschaftlichen Ausschaltung der jüdischen Bürger. Die sogenannte „Arisierung“ ist der Beginn eines ungeheuerlichen und unfaßbaren Raubzugs durch die jüdische Vermögenswelt.
Der Stoffvertreter Rube bietet Ehrenfried die Rettung seines Geschäftes durch eine „freiwillige“ Beteiligung von Ariern an. So werden die beiden in der Firma beschäftigten parteitreuen Zwischenmeister ganz ohne ihr Zutun und ohne eigenes Kapital einzubringen, zu neuen Geschäftspartnern.
Am 15.09.1935, dem Tag der Nürnberger Reichsgesetzverabschiedung, begeben sich "Ehrenfried & Cohn" in Richtung Paris, um für ihre neue Kollektion bei Esterel Ideen zu sammeln.
Das Pariser Tageblatt der Exilanten titelt bereits „Hitler verkündet Judengesetze - zwei Kategorien von Staatsbürgern“. Der Antisemitismus macht auch vor den Toren Paris nicht halt. Bei Esterel werden die jüdischen Konfektionäre bereits ausgegrenzt und hinausgejagt.
Nach einer entdeckten Liebesbeziehung zwischen dem homosexuellen Cohn und dem Stoffvertreter Rube nutzt die nationalsozialistische Presse diesen Vorfall zur weiteren antisemitischen Hetze gegen die Berliner jüdischen Konfektionäre. Während Cohn in Richtung Palästina flieht, plant Ehrenfried entgegen aller Warnzeichen seine neue Kollektion zur Olympiade. Auch wenn diese ein Erfolg wird, so ist es ein Wettstreit, den er nur verlieren kann, denn in diesem Vernichtungskampf der Nazis besitzt Ehrenfried nur einen Amateurstatus.
Rube spricht vom „Pulverfaß“ und selbst der geliebte Treffpunkt der jüdischen Konfektionäre, das Café Reimann, ist nicht mehr sicher und arisch durchsetzt.
Ehrenfried wehrt sich und verliert am Ende sein Berliner Konfektionshaus. Eine korrupte und neidische Koalition aus der Arbeitsgemeinschaft der deutsch-arischen Fabrikanten der Bekleidungsindustrie e.V. sowie dem Wirtschaftsministerium, den Banken, den Versicherungen und den Finanzämtern sowie Parteigenossen treibt die jüdischen Konfektionäre nicht nur aus der Textilbranche hinaus, sondern sie plündern sie komplett aus.
Mit Hilfe des Stoffhändlers Rube gelingt den Ehrenfrieds die Flucht nach London. Der Besitz gezwungenermaßen unter Wert abgegeben, die Firma „Ehrenfried & Cohn“ liquidiert und umbenannt in die neue arische Firma „Deutsche Damenmäntel KG“.
Der Roman „Ehrenfried & Cohn“ zeigt am Beispiel der jüdischen Berliner Konfektionäre die wirtschaftliche Vernichtung der jüdischen Bevölkerung auf. Eine Vernichtung, die neben der sogenannten Reichsfluchtsteuer eine umfassende Zwangsenteignung und Umverteilung von jüdischem Vermögen an die sogenannten Arier bedeutet hat. Die „freiwilligen“ Verkäufe von Immobilien und Firmen sind unter enormen Druck und Zwang zustande gekommen. Von „freiwillig“ kann daher nicht gesprochen werden. Die Zusammenarbeit zwischen der Partei, den Finanzbehörden, den Banken und den Versicherungen verdeutlicht ein korruptes assoziales System, das ganz offiziell jüdisches Vermögen raubt.
Eine schäbige blutige Zusammenarbeit, an der auch das Ausland kräftig mitverdient. Symbolisch kann hierfür Westphals Figur Rube stehen. Rube, der gute Freund? Ein Freund, der den Ehrenfrieds hilft, zu fliehen? Ja, aber nicht nur. Er ist nicht nur der Gute. Westphals Figur Rube ist Schweizer. Und die Schweiz hat sich bekanntlich der wirtschaftlichen Kollaboration mit dem Hitlerreich schuldig gemacht. So wie Rube von sich sagt, er sei nicht Dorian Gray, so hat auch die Schweiz versucht sich reinzuwaschen und zu argumentieren, dass der Devisentausch mit dem Raub- und Opfergold des Dritten Reiches dazu diente, einer Selbstzerstörung, d.h. einem Überfall Hitler-Deutschlands, entgegenzuwirken.
Eine qualvolle Erkenntnis für die Opfer, die bis heute nachwirkt. Ehrenfrieds Versuch, von seinem Vermögen etwas wieder zu bekommen, scheitert kläglich. Abgespeist mit einer kleinen Entschädigung soll er nun Ruhe geben.
Die einstigen Opfer sind nach Jahren wieder die neuen Opfer. Jahre, in denen, die einen versucht haben, im Exil ein neues Leben zu finden. Jahre, in denen das Exil manch einen wie Uwe Westphals Figur des Arztes Leven in den Selbstmord getrieben hat. Jahre, in denen aus dem geflüchteten Juden Ehrenfried mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wieder ein Deutscher wird. Ein Feind im Exil, der nun auf der Isle of Man interniert wird. Jahre, in denen die „jüdischen Ehrenfrieds“ ihre Angehörigen in der bestialischen Mordanstalt Auschwitz verloren haben.
Jahre vor 1933 und während einer Urlaubsreise in einer kleinen bretonischen Kirche die Begegnung mit der Figur des heiligen Bartholomäus. Jahre nach dem Krieg und wieder in dieser bretonischen Kirche. Bartholomäus Messer seines Martyriums ist nach dem Mord der Deutschen an den ehemaligen französischen Reiseleiter verschwunden. Für die Ehrenfrieds bleibt dieses Martyrium hingegen bestehen. Denn sie tragen sie durch ihr Leben, die Last der gefühlten Schuld am Leben zu sein. Schlägt Cohn seinem Partner zynisch vor, die letzte Kollektion „Nächstes Jahr in Jerusalem“ zu nennen, so hat sich für die Überlebenden diese Sehnsucht nach Frieden nicht erfüllt.
Wenn man in Berlin-Mitte am Hausvogteiplatz einen Mann mit einer Aktentasche sieht, dann ist es vielleicht ein „Ehrenfried“.
Ehrenfried & Cohn, Uwe Westphal, Lichtig-Verlag, Berlin 2015, 190 Seiten, ISBN: 978-3-929905-33-5, Preis: EUR 18,00
© Soraya Levin