Hier tobt nicht das Leben, hier tobt der Rausch. Der Ort wirkt verschlafen. Steinige Strände, malerische Gassen, abgelegene Buchten. Hier kann man ihn pflegen, den Müßiggang, hier kann man sich treiben lassen zwischen dem alten Pflaster. Hier fühlt sich im Rausch selbst der raue Wind sanft an. Hier wird zu jeder Tageszeit getrunken.
Hier, das ist Cadaqués in Katalonien. Es sind keine heruntergekommen Penner, die sich fröhlich den Wein und Tequila schmecken lassen. Es sind Künstler. Oder vielmehr Trinker, die Künstler sein wollen. Im Bann der surrealistischen Maler, Schriftsteller und Regisseure wie Salvador Dalí, Man Ray, Buñuel hat es sie nach Cadaqués verschlagen. Sie greifen das surrealistisch schöpferische Element des Rausches der großen Künstler auf, in dem sie ihre künstlerische Schaffenskraft mit dem Drogen- und Alkoholrausch antreiben. Da ist Cal der 40-jährige amerikanische Schriftsteller, David der Maler, Wiggels ein gestrandeter Schauspieler, da sind Althippies und ehemalige Models von Dalí.
In Cadaqués gibt es für die Pseudokünstler nur Entschleunigung. Hier füllen sie ihr künstlerisches Scheitern mit Promille. Dann sind sie gut drauf und rauchen einen Joint oder Kette. In diese Scheinwelt des balancierenden Alkoholpegels flüchten sie vor der schmerzhaften Erkenntnis, dass nicht sie die großen Künstler sind.
So wie sie sich mit Leidenschaft dem Alkohol hingeben, so geben sie sich auch mit Leidenschaft dem Sex und der Liebe hin. Als Cal der jungen Layla begegnet, ist er magisch von ihr angezogen. Zwischen den beiden entwickelt sich eine Affäre. In dem Michael Lederer seine Figur Cal den Vergleich ihrer Liebe mit der Geschichte des Ostens Layla und Majnun ziehen lässt, verdeutlicht er die tiefe rauschhafte Beziehung, die sich zwischen beiden in kürzester Zeit entwickelt. Eine Beziehung, die jedoch an dieser Stelle schon deutlich macht, dass sie keine Zukunft hat. Denn wie in der Geschichte Layla und Majnun wird Cal seine Layla suchen. Wie in der Geschichte werden sie nicht untrennbar miteinander verbunden bleiben. Michael Lederer stellt mit Layla einen scharfen Kontrast zu Cal her. Sie trinkt keinen Alkohol und verkörpert das nüchterne Gesicht inmitten der Trinker. Zunehmend muss sie sich zwangsläufig an Cals Suchtekstasen stören. Trotz Beschwörungen gegenüber Layla hält sich Cals Promillewert oben. Sie verlässt ihn. Die Trennung reißt Cal nieder. Er kehrt Cadaqué den Rücken in Richtung Berlin. Erst hier wendet sich die Abwärtsspirale. Cal nimmt den Kampf gegen seine Sucht auf. Jahre später kehrt er nach Cadaqués zurück. An den Lieblingsplätzen der Künstler ist es mittlerweile totenstill geworden. Die einen sind hinweggerafft, die anderen restlos heruntergekommen.
Michael Lederer zeigt mit Cadaqués ein Auffangbecken verlorener Künstler. Sie sind magisch angezogen vom Spirit der vergangenen „Großen“ Maler, Dichter, Schauspieler und Regisseure. Sie hoffen auf deren inspirierende Muse, und können doch nur ihre mageren Künstlerjahre betäuben. Es sind labile Charaktere, die der Autor zeichnet. Selbst seine Kontrastfigur Layla flüchtet vor ihrer suchtbehafteten Vergangenheit. Die einzige Figur, die sich außerhalb dieses Kreises zu bewegen scheint, ist Paul. Der ältliche Begleiter von Layla. Doch auch diese Vaterfigur leidet unter einem Realitätsverlust. Sein Restaurant heißt Paradisio, wirkt jedoch eher wie eine Spielhölle. Auch Paul macht sich größer als er ist und sucht in dem Starkoch Adría seine Muse. Paul wirkt ebenfalls wie berauscht wenn er seine Layla verfolgt und demütigt. Am Ende zeigt sich auch dieser Charakter labil.
Können die Figuren ihrer Sucht entfliehen? Vielleicht, jedoch nicht der nach Cadaqué, „Es würde immer da sein.“ und damit auch die Begierde nach dem Rausch.
Ein Grund spricht auf jeden Fall für eine Reise nach Michael Lederers Cadaqués. Eine hochprozentige Kunst der Leidenschaft und direkten Rede mit dem Blick auf das Ehepaar Künstler und Sucht, die den Leser unterhaltsam durch das Buch treiben lässt.
Cadaqués, Michael Lederer, Roman, Aus dem Englischen von Esther Kriegel, Berlin, PalmArtPress 2014, 472 Seiten, Broschur, ISBN: 978-3-941524-34-7, 18,90 €
© Soraya Levin