Reden wir über „Apokalypse Baby“. Dieses Buch ist ein temperamentvoller Trip in die Welt der Action Krimis, gepaart mit vulgärem Sex, heißer lesbischer Liebe, der Suche nach sich selbst, einem Stückchen Freiheit und einer pubertären verwahrlosten Rotzgöre. Langweilig wird es garantiert nicht.

Die Autorin setzt ganz auf die weiblichen Akteure. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die unscheinbare Privatdetektivin Lucie. Ihr Leben könnte richtig angenehm sein, wäre da nicht ihre Erfolglosigkeit. Gerade hat sie ihr Observationsobjekt aus den Augen verloren. Ein 15 Jahre alter Teenager, eine vulgäre Rotzgöre, Valentine die Tochter des Schriftstellers François Galtan und Enkelin der reichen Jacqueline Galtan ist ihr entwischt und seitdem spurlos verschwunden. Das Büro bekommt den Auftrag, sie innerhalb von vierzehn Tagen wieder zu finden. Doch Lucie kann in der Suche nicht mithalten und weiß, dass sie die Hilfe eines gewaltigen Jägers braucht. In Frage kommt nur die Hyäne. Sie betreibt eine eisenharte Spurensuche und bringt fast jeden Fall zur Strecke.

Das Paar könnte nicht gegensätzlicher sein. Lucie, perspektivlos, einsam und unauffällig. Die Hyäne, ein seltsamer Vogel, schrill und hart. Wie in einem Spiel, tasten sie sich Zug um Zug vor. Sie sind Valentine über Paris bis nach Barcelona dicht auf den Fersen. Sie entdecken eine Spirale pubertärer Tabuverletzungen, zusammengesetzt aus exzessiven Sauf- und Drogengelage und hemmungslosen Sex.

Wild geht es auch auf einer Party bei Freundinnen der Hyäne zu. Die Hyäne lebt sich so richtig frivol aus. Und Lucie, die entdeckt ihre lesbische Neigung.

Valentine versucht unterdessen ihre Mutter zu finden, die vor Jahren der Familie den Rücken gekehrt hat. Eine Station ist die Verwandtschaft mütterlicherseits, die sich als arabisch outet. Obwohl die arabische Lebenswelt sie entsetzt, treibt Valentine es mit ihrem Cousin.

Sie reist weiter nach Barcelona und platzt in das Leben ihrer Mutter. Die geheim gehaltene Tochter ist ein Störfaktor für die Mutter. Sie quartiert Valentine in einem Hotel ein und verlangt, dass sie ihre Identität verleugnet.

Von der Mutter wahnsinnig enttäuscht, verlässt Valentine fluchtartig das Hotel. Durch Zufall begegnet sie dem linksextremistischen Abstauber Carlito. Sie heftet sich wie eine Klette an ihn und gerät in den Sog seiner linksextremistischen Einstellungen.
Von einem auf den anderen Tag ist Carlito verschwunden. Valentine besäuft sich und wird im Vollrausch von der Nonne Elisabeth aufgelesen. Eine Katastrophe bahnt sich an. Elisabeth findet in Valentine ein willfähriges Opfer für ihre Terrorpläne.

Zur Tarnung begibt sich Valentine in die Hände der beiden Detektivinnen und kehrt zu ihrem Vater zurück. Die Zeitungen sprechen später von „Valentines Blutbad“.

Mit einer Mischung aus spritzig bis ernst greift Virginie Despentes desorientierte Lebensentwürfe, eine bürgerliche Scheinmoral, das Gefühl der Ausgrenzung und Ausbrüche aus der Normalität auf. Eine pubertierende 15-Jährige, die sich nur durch wilde Exzesse aus der bürgerlichen Oberflächlichkeit befreien kann, die sich aufgrund ihrer Orientierungslosigkeit gut missbrauchen lässt. Ein gemeinsamer Hass auf das eigene Leben und Frankreich sind die Zutaten für die Gewaltentwicklung und für die sich entwickelnde Katastrophe. Auf der anderen Seite eine Ermittlerin, die mit ihren 30 Jahren in einer Krise steckt. Auch Lucie ist desorientiert. Erst mit der Entdeckung ihrer lesbischen Neigung findet sie ihren Platz. Mit der Hyäne schafft die Autorin einen Kontrapunkt, der sich in keine Lebensnormalität einordnet. Sie ist in jeder Form eine wahre Jägerin und schlichtweg ein schrilles Raubtier, das dem Buch die mitreißende Klasse gibt.

Virginie Despentes, Apokalypse Baby, Roman, Originalausgabe: Apocalypse Bébé bei Éditions Grasset & Fasquelle Paris, Aus dem Französischen von Barbara Heber-Schärer und Dorit Gesa Engelhardt, Bloomsbury Verlag GmbH Berlin März 2012, 384 Seiten, gebunden, ISBN-13: 9783827010216, 19,90,- Euro

© Soraya Levin