Die Jazz Baroness. Das Leben der Nica Rothschild

„Der hippe Jazzer und die heiße Braut“, die für den Bebop brennt. 
Eine Rothschild aus der reichen jüdischen Bankiersfamilie geht bei einem armen farbigen Freak in New York vor Anker.

Es sind die frühen 1950er Jahre, eine Zeit, in der Farbige noch als Neger bezeichnet werden, Schwarz und Weiß eindeutig getrennt sind. Was zieht diese Jazz Baroness aus den edlen Herrenhäusern in die USA zu den ausgeflippten entrechteten Schwarzen?

Ihre Großnichte Hannah Rothschild ist der biographischen Spur dieses exotischen Vogels Pannonica de Koenigswarter geborene Rothschild gefolgt. Interessante Bilder der einzelnen Lebensstationen ergänzen neben der Nennung musikalischer Stücke die Geschichte.

Wie ein Vogel fliegt Nica in die Freiheit. Sie vagabundiert rauchend und trinkend nächtelang durch die stickig-heißen Clubs. Inmitten dieser knisternden Jazzatmosphäre verströmt sie mit ihrer Zigarettenspitze, ihrem Pelz und ihrer Perlenkette einen Flair der 1920er Jahre. Ein Sinnbild der befreiten Frau, die in einem prunkvollen Käfig aufwächst. Sie heiratet, hat fünf Kinder und lebt zeitweilig das tradierte weibliche Rollenbild der Rothschilds weiter. 

Im Krieg kämpft sie in der freien französischen Armee und atmet für sich ein Stück Freiheit. Mit der Inspiration durch das Klangerlebnis von Round Midnight beginnt ihr neues Lebenskapitel. Sie spürt den Komponisten Thelonious Monk auf und bleibt fortan an der Seite dieses „Prachtkerls“. Ein skurriler Typ mit einem ausufernden Leben inmitten von Musik und Drogen und einem Klavier in der Küche. Ein Typ, der sich keine musikalische Verschnaufpause gönnt, der den Bebop nicht nur spielt, sondern ihn erfindet. Ein rasender Rhythmus, ein tobender Monk und eine für den Modern Jazz entbrannte Nica. Sie folgt nicht nur dem Sound. Sie unterstützt genau die, die ihn spielen, die farbigen Außenseiter, für die sie zu einer unschätzbaren Hilfe wird.

Sie lieben Musik und touren zusammen von Club zu Club. Ist es exklusiv eine musikalische Zuneigung, die dieses gegensätzliche Paar verbindet? Ob pur ohne Sex oder auf Eis mit Sex, Nica wird Bestandteil des Beziehungsgeflechts zwischen Monk und seiner Frau Nelly.

Die Baroness bringt sich durch ihre Nähe zu den farbigen Jazzern immer wieder in missliche Lagen. Sie wird aus ihren Hotelsuites hinauskomplimentiert. Ihr Bruder kauft ihr schließlich ein Haus in New Jersey. Catville, ein Katzenhaus, das über hunderte von Katzen beherbergt und den Blick auf Manhattan richtet. Für Monk und seine Drogen ist sie bereit, ins Gefängnis zu gehen. Der große Bird, Charly Parker, stirbt in einem ihrer Hotelzimmer. Ob Anklagen oder Pressebeschimpfungen als „Negerhure“. Ungebrochen hält sie an ihrem Thelonious und nach seinem Tod an der farbigen Jazzerszene fest.

Eine widersprüchliche Beziehung und ein widersprüchliches Leben der Pannonica de Koenigswarter, das uns Hannah Rothschild erzählt. Sie bindet sich selbst mit in die Biographie als Ich-Erzählerin ein und baut Stufe für Stufe die Lebensstationen auf. Es ist richtig Erfahrungsaufschichtungen zu zeigen. Doch Hannah Rothschild greift hier oft zu weit und verschiebt den biographischen Fokus. Die Familiendarstellung geht über in eine Darstellung der Rothschilds insgesamt. Auch bei Abhandlungen über Monk tritt Nica in den Schatten und die Frage, wessen Biografie ist das jetzt, bleibt im Raum. Etwas Weniger wäre sinnvoller und würde nicht weniger zum Verständnis beitragen.

Die Biographie zelebriert Freiheit und bedient dabei das Klischee „Geld allein macht nicht glücklich“. Auch wenn in Nicas New Yorker Leben Herrenhäuser keinen Platz mehr haben und sie überwiegend in ihrem Katzenhaus auf Pomp verzichtet, so tauscht sie keineswegs ihren Luxus gegen die Schlichtheit der Welt der Farbigen. Mit ihrem Bentley, ihrem Steinway und ihren exquisiten Hotelsuites im luxuriösen Stanford und Stanhope in New York zeigt sie, dass sie weiterhin elegant stilsicher bleibt.

Die Jazz Baroness ist die Geschichte einer Frau, die gegen die würgende gesellschaftliche Etikette rebelliert. Offen bleibt, ob das sichtbare Aufbegehren ein tatsächlicher Befreiungsschlag ist. Ist nicht gerade die tiefe Beziehung zu Monk ein neuer Käfig? Ein Käfig gefüllt mit Liebe oder sind es nur Abhängigkeiten? Vielleicht einfach nur die Möglichkeit einer erfahrbaren Sinnsuche?

Nicas Leben ist an vielen Stationen aufrüttelnd und spannend. Ja, viele Stationen würden für sich allein schon eine aufschäumende Story ergeben. Warum aber nur diese Spannungsentladung durch diesen gedämpften Anschlag, der Nicas Leben in den Hintergrund drängt?

Hannah Rothschild, Die Jazz-Baroness. Das Leben der Nica Rothschild, Aus dem Englischen von Hainer Kober, Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel The Baroness: The Search for Nica, the Rebellious Rothschild bei Virago, London, Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, Berlin 2013, 352 Seiten, ISBN-13: 9783827011503, 19,99 [D] | 20,60 [A]

© Soraya Levin