Allein gegen die DDR-Diktatur

Bereits der Titel des Buches „Allein gegen die DDR-Diktatur“ weckt Assoziationen zum Film „Allein gegen die Mafia“. Doch Gabriel Berger ist nicht Kommissar Corrado Cattani. Was sie dennoch vereint ist die Hartnäckigkeit, mit der sie ihr Anliegen verfolgen sowie der fast aussichtslose Kampf gegen menschenverachtende Systeme.

Berger, Sohn eines polnisch- jüdischen überzeugten Kommunisten, wird mit der Übersiedlung seines Vaters aus Polen in die DDR 1957 in dem System DDR allmählich festgezurrt und lässt sich den real existierenden Sozialismus zunächst vorgaukeln. In seinem Buch zeichnet er in sechs chronologisch aufeinander aufbauenden Kapiteln den Prozess nach, vom anfänglichen Glauben an das System als Jugendlicher, der eine aktive Rolle in der FDJ spielt und der sogar den Mauerbau als eine „Einsicht in die Notwendigkeit“ sieht, bis hin zur Enttarnung des Systems als Diktatur.

Gabriel Berger verdeutlicht im Laufe des Buches immer wieder den Einfluss des Vaters, der grundsätzlich den Kapitalismus ablehnt und mit seinem Spruch „der beste Kapitalismus ist schlechter, als der schlechteste Sozialismus“ zunächst die politische Orientierung vorgibt. Berger beginnt jedoch zunehmend während seiner Studienzeit die ideologische Orientierung der DDR in Frage zu stellen. Er verweist darauf, dass eine Triebfeder die weitgehende Freiheit von Kunst und Kultur in Polen gewesen ist, da gerade dieser Vergleich die Unterschiede für ihn ja nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar machte. Immer mehr gelangt er zu der Einsicht, dass er kein Teil dieses eingemauerten sozialistischen Experimentes mehr sein will, das so gar nichts mit dem marxistischen Freiheitsbegriff zu tun hat. Sein Entschluss, die DDR ganz legal zu verlassen, wirkt zunächst recht naiv. Hier stellt sich die Frage, ob er wirklich an die Selbstbestimmung des Einzelnen geglaubt hat, wohingegen der Gedanke, dass er durch seine Offenheit, es gar nicht erst dazu kommen lässt, eine Angriffsfläche für die Stasi zu bieten, recht schlüssig ist.

Seine Migrationsversuche nach Polen, Frankreich oder Schweden scheitern. Der nachgezeichnete Versuch, den Behördendschungel zu durchdringen, um die eh nicht als Heimat empfundene DDR zu verlassen, verdeutlicht, dass die Behörden auf diesen ganz legalen Weg nicht vorbereitet sind und über sein Anliegen zunächst eher sprachlos und verwundert reagieren. Hier erwartet er etwas von dem politischen System, was von der Mehrheit gar nicht in Frage gestellt wird.

Berger zeigt weiter auf, dass er am Grundrecht auf Selbstbestimmung und Freiheit festhält. Dieses sogar während seines Militärdienstes. Was wagt er sich da in einer Diktatur, fragt man sich beim Lesen. Seine Passagen der wortwörtlichen Interpretation der ihm erteilten Anweisungen lesen sich zeitweilig wie eine Satire. Eine Satire, die ihm diesen Raum für Freiheit schafft. Sein starkes Selbstbewusstsein zeigt er ab dem Sechstagekrieg 1967, wo er sich gegen die Masse und ihr feindliches Israelbild positioniert und sein Judentum und seine Unterstützung für den Staat Israel öffentlich zu erkennen gibt. Was Berger hier tut, ist sehr beachtlich und es gehört schon ein großes Standing für das Eintreten von Werten wie Gerechtigkeit dazu, sich als jüdisch zu outen. Hat doch sein Vater ihm eingebleut, dass er sich als Jude nicht zu erkennen geben soll. Deutlich an der Handlung wird die jahrelange Selbstverleugnung und es stellt sich die Frage, wie sich dieser Teil auf seine Identitätsbildung ausgewirkt hat.

Wichtig an diesem biografischen Punkt ist zudem der sozio-historische Kontext, der sichtbar macht, dass der Antisemitismus in der DDR sich hinter dem Gerede von Antifaschismus versteckt hat. Auch in der DDR war man nicht daran interessiert, sich mit dem Holocaust und der Schuldfrage auseinander zu setzen. Vielmehr ist das System auf den Zug der antisemitischen Säuberungsprozesse der Ostblockstaaten aufgesprungen. Mit dem Sechstagekrieg verschärft sich der Hass auf den Zionismus und Israel. Der Antisemitismus wird nun in eine Israelkritik gepackt, wobei gleichzeitig eine Schuldprojektion des nationalsozialistischen Wütens und Mordens auf Israel erfolgt. Die Propagandazeitung der SED, das Neue Deutschland, hält sich mit Titeln der Israeldiffamierung nicht zurück und spricht sogar von der „Endlösung der Palästinafrage“. Betrachtet man das Neue Deutschland heute, so ist weiterhin eine eindeutige anti-israelische Haltung erkennbar. Vor diesem sozio-historischen Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Stasi Gabriel Berger nun mit dem Zionismus koppelt, was gleichbedeutend ist mit Feind des Sozialismus.

Eine weitere Weggabelung in der Abkehr von dem System beschreibt Berger mit der wuchtigen Reaktion des Ostblocks auf den Prager Frühling in der Tschechoslowakei, die klar zu verstehen gibt, dass Freiheit und Selbstbestimmung in weiter Ferne sind. Berger verdeutlicht an dieser Stelle auch, dass seine Hoffnung auf einen sozialistischen Humanismus sich nicht erfüllen wird. Es ist wie eine Folge der Fensteröffnungen und der Sicht auf die ideologisch mit Freiheitsberaubung und Terror orientierte Politik des Stalinismus, die sich für Berger ergibt. Es ist mutig und das in zweifacher Hinsicht, denn er liest die politisch hoch explosive Literatur „Der Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn und geht lesend durch die Hölle und die Qualen der sowjetischen Lager. Die dort formulierte Anklage gegen das sowjetische Terrorsystem verdeutlicht ihm, dass auch die DDR eine Diktatur ist. Er wirkt sehr empört und aufgewühlt in seinen Zeilen und schreibt, dass er beabsichtigte, das Buch zu vervielfältigen. Die Absicht misslingt und er entgeht dadurch sehr wahrscheinlich einer hohen Haftstrafe. Ganz kann er sich aufgrund seiner widerständigen Haltung dem Gefängnis jedoch nicht entziehen.

Während seiner Tätigkeit am Zentralinstitut für Kernforschung in Rossendorf schöpft Berger wieder neue Hoffnung, die DDR zu verlassen, denn mit der 1975 auch von der DDR unterzeichneten Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa hat er nun etwas ganz Offizielles in der Hand, auf das er sich berufen kann und dieses tut er auch mit Akribie und Inbrunst. Garantiert doch die KSZE die Achtung der universellen Menschenrechte und Grundfreiheiten, so wird sie quasi zur Waffe in der Hand von Berger, der sie professionell und mit viel Sachverstand zu nutzen weiß. Er will, sich auf die Akte berufend, ganz offiziell in die BRD ausreisen, was vor dem Hintergrund des Ansatzes der inneren Sicherheit der DDR abgelehnt wird. Die Frage bleibt, ob Berger wirklich an einen Erfolg geglaubt hat. Denn ein Zugeständnis hätte eine Lawine in Gang gesetzt, die letztlich das System in seiner Substanz bedroht hätte. Auf jeden Fall hat Berger an seinen Erfolg bei dem Fluten mit Eingaben, Widersprüchen und Öffentlichkeit für sein Anliegen und die Menschenrechte zu schaffen, geglaubt. Ein höchst riskantes Spiel, das ihn schließlich 1976 ins Gefängnis verfrachtet hat. Berger konnte aufgrund seiner bisherigen Erfahrungsaufschichtung nicht wissen, dass die Stasi ihn bereits ausreisen lassen wollte. Er selbst sieht sich durch die Intention der Stasi auf der einen Seite als Sieger und auf der anderen Seite sieht er sich als Verlierer, da er diese Handlungsoption der Stasi nicht zugetraut hat. Ja, er hat definitiv einen Sieg davongetragen, da er mit seinen Eingaben und Aktionen wie eine Meeresbrandung gewirkt hat, die immer wieder auf das System prallt und damit zur Gefahr wird, der man sich am besten durch eine Ausreise entledigt. Man kann es wie Berger sehen, dass er auch ein Verlierer ist, man muss es aber nicht. Denn woher sollte Berger diese Vorerfahrung gewonnen haben, dass er diesem menschenverachtenden Repressionsapparat vertrauen kann? Letztendlich führt er seinen Protest im Gefängnis fort. Mit unmöglichen Hilfsmitteln wie einem Gummistöpsel zeichnet er Davidsterne und schreibt auf Zeitungsseiten seine Haltung nieder. Dass die Stasi ihn als Antisemiten bezeichnet, ist nicht nur extrem obskur. Es verdeutlicht auch die antizionistische Haltung der DDR, die Faschismus mit dem Zionismus gleichgesetzt hat. Berger war also in den Augen der DDR ein Faschist, was auch die Aberkennung als Verfolgter des NS-Regimes nach sich zog.

1977 kann Gabriel Berger nach W-Berlin ausreisen. Dieses ist mit Sicherheit sein Sieg. Es rumort weiter in ihm und als Journalist und Schriftsteller schreibt er über die DDR und Polen. Hier engagiert er sich insbesondere für die Solidarnosc und die Darlegung des polnisch-jüdischen Verhältnisses. Bezeichnend ist der Umstand der Weiterbeobachtung und Verfolgung Bergers durch die Stasi im Westen. Es verdeutlicht, das derartige menschenverachtende Systeme vor den Grenzen nicht halt machen und wie auch die Mafia international agieren.

Es ist eine sehr persönliche Geschichte, die Gabriel Berger nicht nur erzählt, sondern mit Fakten und Auszügen aus seiner Stasi-Akte untermauert. Man könnte über sein Vorwort schmunzeln, denn er bedankt sich bei der Stasi, dass sie Inhalte zu seiner Person akribisch notiert haben. Hier ist sie wieder, die bürokratische deutsche Gründlichkeit, die selbst ihre eigenen Verbrechen notiert. Was auf den ersten Blick verwerflich erscheint, hilft jedoch in der Enttarnung des Systems und des einzelnen Täters bei menschenverachtenden Aktionen.

Berger gelingt es sehr gut, seinen eigenen Entwicklungsprozess und seine Abwendung von dem System sichtbar zu machen. Von einem sozialistischen Urkundenträger entwickelt er sich stark durch die kulturelle Freiheit in Polen beeinflusst hin zum Widerständler. Ereignisse wie der Sechstagekrieg und der aufoktroyierte Zwang zum Antizionismus innerhalb der Gesellschaft sowie die KSZE-Akte und das Buch „Archipel Gulag“ sind der Motor für den Widerstand. Seine Abkehr vom System kann nur eine Grabenbildung zwischen ihm und seinem Vater nach sich ziehen, denn es ist der eigene Vater, der ihn nicht aus dem Gefängnis der Freiheit wegen herauszuhelfen versucht, sondern der ihn wegen seiner Abkehr vom Sozialismus in die Psychiatrie überstellen lassen will. Hier stellt sich für den Leser die Frage: Meint der Vater vielleicht, dass es Gabriel Berger in der Psychiatrie besser geht als im Gefängnis oder ist er tatsächlich ideologisch so verblendet, dass er die Realität negiert oder um seiner selbst Willen negieren muss. Eine Negierung, die Berger auch an der westdeutschen Linken kritisiert, die ihren Blick lieber über Kontinente schweifen lässt, statt ein paar Meter weiter in das eingemauerte Deutschland.

Ja, Gabriel Bergers Buch zeigt einen Mann, der sehr mutig ist. Der teilweise scheinbar keinen Blick für die Folgen seines Handelns gehabt hat, obwohl ihm auf der anderen Seite die Bedrohung schon bewusst gewesen ist. Denn er sagt ganz offen, dass er aus Angst vor der staatlichen Willkür seine jüdischen Wurzeln als Schutzschild genutzt hat. Die Frage bleibt natürlich, inwiefern ein jüdisches Schutzschild umgeben von strukturellem Antisemitismus aufgebaut werden kann und tatsächlich Schutz bietet. Bei der Handlung des einzelnen bleibt letztlich immer die Frage nachdem: Was ist es mir wert? Berger hat diese Frage klar beantwortet: Die Freiheit und das Beharren auf und für Menschenrechte ist es ihm wert gewesen.

Allein gegen die DDR-Diktatur unterstreicht die Notwendigkeit dieser biografischen Rückblicke mit wichtigen historischen Meilensteinen vom Holocaust, über die Nachkriegszeit, über zwei deutsche Staaten und den Mauerbau, über den Sechstagekrieg, den Prager Frühling bis zur KSZE-Akte und Alexander Solschenizyn sowie die Solidarnosc und bis zum Mauerfall. Die Stationen verdeutlichen, wie leicht man in ein ideologisches Fahrwasser geraten kann und wie sich inhumane neue Systeme durch die gleichen alten Gruppierungen vorangegangener inhumaner Systeme wieder neu bilden und mitunter dauerhaft gestützt werden. An diesem Punkt weist das Buch gerade auf die Verpflichtung zum Widerstand gegen inhumane Systeme hin. Eine Notwendigkeit, die wie Berger gezeigt hat, viele Menschen so nicht gesehen haben. Es liefert daher einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung über die Stasi und ihr Wirken und regt zum Nachdenken über die bedenkliche Positionierung hin zu rechten und linken Populisten und Autokratien vieler Menschen nicht nur in Europa an.

Gabriel Berger, Allein gegen die DDR-Diktatur. Bespitzelt vom Ministerium für Staatssicherheit im Osten und Westen (1968 - 1989), Lichtig Verlag, Berlin 2019, ISBN 978-3-929905-41-0

© Soraya Levin